Der legendäre Opel Blitz – Spitze 146 km/h, rardargemessen am Elzer Berg

Am 10. April 1982 geben die Toten Hosen ihr erstes Konzert im Schlachthof in Bremen, werden allerdings aufgrund eines Übermittlungsfehlers streckenweise noch als „Die Toten Hasen“ angekündigt. Die Erstbesetzung der neuen Band hatte sich Ende 1981 bei der Abschiedstournee der Düsseldorfer Punk-Band ZK zusammengefunden. Sie bestand aus:

Sänger: Andreas Frege, genannt Campino, 19 Jahre alt, ehemals Sänger von ZK. Leadgitarrist: Andreas von Holst, genannt Kuddel, 17 Jahre alt, ehemals Gitarrist von ZK. Bassist: Andi Meurer, 19 Jahre alt, ehemals Roadie von ZK. Schlagzeuger: Klaus-Peter Trimpop, genannt Trini, 26 Jahre alt, ehemals Sänger der Düsseldorfer Punkband KFC, der die ZK-Abschiedstour für einen niemals erschienenen Film dokumentiert hatte. Walter Hartung, genannt Walter November, 19 Jahre alt, ein Freund, der gut aussah. Als Manager der neuen Band hat sich der Konzertveranstalter Jochen Hülder empfohlen, der die ZK-Abschiedstour organisiert hatte.

Das Konzept besteht darin, wie Verlierer auszusehen, die Erwartungen herunterzuschrauben, aber schließlich die Zuschauer zu verblüffen.

Campino, 1982

Die ersten Singles „Wir sind bereit“ und „Reisefieber“ nehmen die Toten Hosen im Sommer 1982 in dem einzigen Tonstudio auf, das keine Vorkasse verlangt, allerdings auch nicht für die Produktion von Rockmusik ausgerichtet ist.

Die Musik orientiert sich an klassischem britischen 77er-Punk, eine Musikrichtung, die 1982 als ausgereizt gilt.

Bei den Aufnahmen stellt sich heraus, dass Walter November nicht Gitarre spielen kann, genauso wenig wie Andi Meurer Bass.

Anders als Meurer erweist sich November als lernresistent und verlässt die Band, um sich wieder den Zeugen Jehovas anzuschließen. Ein insgesamt zu verschmerzender Verlust, denn glücklicherweise wurde in dieser Zeit auch Michael Breitkopf, genannt Breiti, 18 Jahre alt, engagiert. Er hat mit Campino (nachdem dieser zweimal nicht versetzt worden war) dieselbe Klasse des Düsseldorfer Humboldt-Gymnasiums besucht.

Der Band war Breitkopf auf Filmaufnahmen eines ZK-Konzerts aufgefallen, wo zu sehen war, wie er relativ ungehemmt vor der Bühne umhersprang.

1983

Erste Konzerte führen die Toten Hosen einerseits in Jugendklubs der Provinz, andererseits auch schon nach Westberlin ins legendäre SO36 sowie, an Ostern 1983, nach Ostberlin, wo die Gruppe vor 40 bis 50 Ostpunks einen illegalen Auftritt in einer Kirche absolviert. Ebenfalls in einer Kirche, allerdings einer bayerischen, entsteht vom ersten Geld der Plattenfirma EMI das Video zu der dritten Single „Eisgekühlter Bommerlunder“. Unter der Regie von Kurt Raab gerät der Kurzfilm derart unanständig, dass er zunächst im Fernsehen nicht gezeigt werden kann und das Gotteshaus neu geweiht werden muss.

Geheimes Konzert in der Erlöserkirche, Ostberlin 1983

Während der Aufnahmen zum ersten Album „Opel-Gang“ im Frühjahr und Sommer 1983 bestehen Breiti und Campino ihr Abitur. Nebenbei kleben alle Plakate, um das Studio bezahlen zu können.

Kuddel spielt fast alle Instrumente alleine ein.

Im Club Versuchsfeld, von links nach rechts: Kuddel, Hamburg 1982

Als Produzenten können die Toten Hosen den Engländer Jon Caffery gewinnen, der zuvor angeblich schon mit Joy Division und den Sex Pistols gearbeitet hatte.

Opel-Gang, 1983

Opel-Gang“ macht die Toten Hosen schlagartig deutschlandweit über die Punkszene hinaus bekannt, die Platte wird vielerorts bejubelt. Die bekanntesten Stücke: „Reisefieber“, „Bis zum bitteren Ende“, „Hofgarten“ und natürlich der Titeltrack „Opel-Gang“.

Bei ihren Liveshows nimmt die Band den Berliner Plattenladenbesitzer Norbert Hähnel als den „Wahren Heino“ in ihr Programm auf. Weil Hähnel behauptet, er sei das Original, endet die Auseinandersetzung später vor dem Oberlandesgericht gegen den richtigen Heino mit einer Geldstrafe von 10.000 Mark für Hähnel. Da der richtige Heino ebenso wie die Toten Hosen bei der Plattenfirma EMI unter Vertrag ist, beginnt der Schlagersänger, Druck auf die Plattenfirma auszuüben, die Punkrocker vor die Tür zu setzen.

Die mit dem Sarg sind da, 1983

Copyright Norbert Hähnel

Im Sommer 1984 reisen die Toten Hosen nach London. Dort sprengen sie das Taxispesen-Konto der EMI und spielen für die BBC eine der legendären „John Peel Sessions“ ein, bestehend aus fünf Stücken (u.a. englische Versionen von „Reisefieber“ und „Bis zum bitteren Ende“). Die idiotisch hohe Taxispesen-Rechnung aus London ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt: Die Plattenfirma beendet die Zusammenarbeit mit den Hosen.

Das zweite Studioalbum „Unter falscher Flagge“ entsteht ab Herbst 1984. Auf dem Cover macht sich die Band über das EMI-Logo lustig. Also wieder eine Klage, dieses Mal von ihren ehemaligen Geschäftspartnern, das Cover wird verboten. Auf dem Album finden sich Hymnen wie „Warten auf Dich“ und „Liebesspieler“, das von den wirklich erlebten aber meist frustrierenden Abenteuern auf der Pferderennbahn erzählt.

1985

1985 geraten die Hosen bei 28 von 38 Auftritten der „Unter Falscher Flagge“-Tour in Ausschreitungen und Schlägereien mit Skinheads und anderen Störenfrieden.

Wer, was, wann, wie angefangen hat, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Nach dem ersten Abenteuer hinter dem Eisernen Vorhang in Ostberlin 1983 folgt 1985 eine Tour durch Ungarn und Polen.

Vom Schlagzeug ans Telefon: Trini Trimpop, 1987

Trini Trimpop fühlt sich indes als Schlagzeuger sukzessive überfordert und steigt Ende 1985 aus der Band aus. Er wird stattdessen eine Mischung aus Pseudo-Manager, PR-Genie und Ideengeber. Wolfgang Rohde, genannt Wölli, ein ehemaliger Hippie aus Berlin, einige Jahre älter als die anderen sowie Exfreund von Campinos Schwester, steigt als Schlagzeuger ein. Seinen ersten richtigen Auftritt absolviert er mit den Toten Hosen im Mai 1986 vor 120 000 Zuschauern auf dem Anti-WAAhnsinns-Festival in Wackersdorf, das dort als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl stattfindet.

Anti-WAAhnsinns-Festival, Burglengenfeld 1986

Foto Fryderyk Gabowicz

Auf Helgoland verursachen die Toten Hosen und ihre Crew kurzzeitig einen Ausnahmezustand, als ihr Konzert verboten wird und die Punkrocker trotzdem, bewacht von Hundertschaften der Polizei, für einen Fußballkick und einige Biere anreisen. Das dritte Studioalbum innerhalb von drei Jahren, „Damenwahl“, das im Sommer 1986 entsteht, soll richtig musikalisch werden und Kuddel versucht Campino beizubringen, wie man vernünftig singt. Was leider zum Scheitern verurteilt ist.

Die Männer im Hintergrund: Jochen Hülder und Jäki Eldorado, 1987

Copyright Wolfgang Burat

Obwohl „Damenwahl“ Hits wie „Wort zum Sonntag“ und „Verschwende deine Zeit“ enthält, empfindet die Band dieses Album als zu glatt. Um diesen Fauxpas auszubügeln, wollen sie schnell eine rohe Punkrock-Platte hinterherschicken. Ein halbes Dutzend neue, knackige Punksongs unter zwei Minuten sind schon fertig, als Campino auf dem Weg zur Probe einen Schlagersong im Radio hört. Sofort wird der originale Plan über den Haufen geworfen, um eine neue Idee umzusetzen: Im Frühjahr 1987 erscheint unter dem Pseudonym „Die Roten Rosen“ ein Album mit Punkrock-Versionen von Schlagern der fünfziger und sechziger Jahre, unter anderem „Im Wagen vor mir“ von Henry Valentino, „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strandbikini“ von Caterina Valente oder „Wir“ von Freddy Quinn.

Diese Scheibe, „Never Mind the Hosen – Here‘s the Roten Rosen“, wird das erste Album, das in Deutschland die Charts erreicht – es steigt auf Platz 29 ein. Das erste Livealbum erscheint Ende 1987: „Bis zum bitteren Ende“ enthält schnelle Liveversionen ihrer bisherigen „Hits“ – sowie im Innenteil faszinierende Fotos von Exzess und Zerstörung in den Garderoben.

Die Garderobe war freigegeben, Elmar, Wölli, Breiti, Andi und Campino, 1987

Foto Michael Quack

1987

1988 treten die Toten Hosen ein zweites Mal unerlaubt in Ostberlin auf, diesmal in größerem Rahmen und von einer argwöhnischen Staatssicherheit beobachtet. Immerhin: Sie wirkt verunsichert und schreitet nicht ein. Im Frühsommer lädt das Schauspielhaus Bonn die Toten Hosen ein, für eine Theateradaption des Anthony-Burgess-Klassikers „Clockwork Orange“ die Musik zu schreiben. Das Stück, in den Siebzigern legendär von Stanley Kubrick verfilmt, handelt von einem Psychopathen namens Alex, der in einer entfremdeten Welt mit seiner Gang Gewalttaten begeht und dazu Beethoven hört. Die Toten Hosen schreiben sechs Stücke, die sie in 20 Theateraufführungen im Sommer 1988 live spielen. Diese Lieder bilden den Kern des Konzeptalbums „Ein kleines bisschen Horrorshow“, das Ende 1988 erscheint und dessen Höhepunkt der Hit „Hier kommt Alex“ ist.

Das Album bedeutet den Durchbruch. Nach sechs Jahren ohne nennenswerten kommerziellen Erfolg sind die Toten Hosen ab 1989 in Deutschland überall bekannt und treten inzwischen in immer ausverkauften mittelgroßen Hallen auf.

Campino ist der erste der Band, der in puncto „Bis zum bitteren Ende“ einen Warnschuss erhält: Nach einer Show wird er mit Kreislaufkollaps und Stimmbandanriss in ein Krankenhaus in Hannover eingeliefert. Die Ärzte bestehen auf eine sofortige Lebensumstellung: kein Alkohol, keine Drogen. Dadurch ist der Sänger gezwungen, den Rest der Tournee von der Band isoliert zu verbringen. In den folgenden Jahren wird auch jedes andere Bandmitglied auf seine Weise einen entsprechenden Warnschuss (oder auch mehrere) erhalten.

Doch erst ab Mitte der neunziger Jahre beginnen die Toten Hosen auch im Kollektiv, ihre Konzerte komplett nüchtern zu spielen.

Kleiderkauf im Kilo, 1988

Foto Orion Dahlmann

90er

Rolling Stones, Kreuzzug ins Glück, Learning English, Sascha, River-Plate-Stadion, Opium fürs Volk, Jägermeister, 1000. Konzert, Australien