Annemie Meurer ist leider am 17. Oktober 2017 verstorben. Das folgende Gespräch stammt aus dem Jahr 2005.

* 24.11.1930 – † 17.10.2017

Frau Meurer, was sagen Sie, wenn Sie gefragt werden, was Ihr Sohn Andreas beruflich macht?

Ich habe insgesamt drei Söhne und die meisten Bekannten wissen, dass der Andi bei den Toten Hosen ist. Ich war jetzt aber gerade im Urlaub in Kuba. Und da habe ich ein junges Paar aus Nürnberg kennen gelernt, das seine Hochzeitsreise gemacht hat. Die waren total begeistert, als sie im Laufe des Gesprächs erfahren haben, dass ich die Mutter von Andi bin. Ich musste ja sogar schon mal meinen Namen auf einen Bierdeckel schreiben. Ich bin natürlich glücklich, dass sie erfolgreich sind, aber normalerweise erzähle ich nicht jedem davon. Sonst könnte ich bei mir zu Hause bald eine Kartenvorverkaufsstelle aufmachen (lacht).

„Mein Mann war zunächst auch sehr begeistert von Andi, weil der sich in der Schule sehr gut machte. Er hat damals natürlich geglaubt: Aus dem wird mal was!”

Früher haben Sie sich wahrscheinlich nicht vorgestellt, dass Andi mal hauptberuflich Musiker werden würde…

Nein, überhaupt nicht! Ich habe eher gedacht, dass er Architekt wird oder irgendwas mit Fotografie. Mein Mann war zunächst auch sehr begeistert von Andi, weil der sich in der Schule sehr gut machte. Er hat damals natürlich geglaubt: Aus dem wird mal was! Dass er letztendlich aber eine Tote Hose wird, daran hat mein Mann überhaupt nicht gedacht. Und das war für ihn am Anfang auch eher eine Enttäuschung. Er ist dann auch nie zu den Konzerten gegangen, während ich so oft wie möglich dabei war. Erst als er hinterher merkte, dass die Jungs trotz ihres Erfolgs am Boden geblieben sind und dazu auch noch die Texte gut waren, war auch er begeistert.

Ab wann spielte die Musik für Andi eigentlich eine wichtige Rolle?

Noch heute steht in dem Keller, in dem Andi immer seine Fotos entwickelt, der Schriftzug von „ZK“ an der Wand. Mein Mann hatte ihm extra eine Dunkelkammer eingerichtet. Mit 16 Jahren uferte das dann aber mit der Musik aus. Und davon war mein Mann überhaupt nicht begeistert, weil er lieber klassische Musik hörte. Ein Jahr später wollte Andi dann nach Amerika und hat sich als Austauschschüler beworben. Unter sehr vielen Bewerbern sind damals nur zwei genommen worden. Andi war dabei. Und da hat mein Mann gedacht: „Vielleicht kommt er da ein bisschen weg von dieser Musik!“ Aber das Gegenteil war der Fall: Er ist nämlich gerade wegen der Musik dorthin geflogen. Er wusste, dass dort die ganzen Bands spielen und hat die ganzen Konzerte besucht.

Wie haben die Eltern reagiert, als Andi zum ersten Mal mit gefärbten Haaren auftauchte?

Als mein Mann einmal früher nach Hause kam, machte er die Haustür auf und da kamen ihm Campino und Andi mit gefärbten Haaren entgegen: Campino rot, Andi schwarz. Mein Mann war so entsetzt, dass er sie rausgeschmissen hat. Andi hat mich dann angerufen, dass er bei einem Freund untergekommen ist, aber ich sollte es nicht meinem Mann sagen. Insgesamt ist er fünf Tage weggeblieben. Da habe ich zu meinem Mann gesagt: „Aus meinem Haus wird niemand rausgeschmissen. Der kann machen, was er will.“ Wesentlich später haben sie sich aber dann ausgesprochen. Sie hatten sich ja vorher immer gut verstanden, hinterher sogar noch besser. Beide haben im Nachhinein Verständnis für die Haltung des Anderen gehabt.

Stagediving, Lesson One: Der kleine Andi auf Super-8 (im DVD-Bonusmaterial enthalten)

Aus welchem Anlass hat Ihr Mann dann sein erstes Konzert gesehen?

1986 hat mein Mann seinen 60. Geburtstag gefeiert. Da waren die Toten Hosen schon ziemlich bekannt. Und da hat mein Mann den Andi vorher gefragt, ob sie dort nicht spielen können. Andi hat zunächst mal im Spaß geantwortet: „Das kannst Du gar nicht bezahlen!“ Und dann kamen die Toten Hosen vorbei, alle schick angezogen, der Andi im Samtanzug. Er hatte zu der Zeit eigentlich einen Jochbeinbruch, hatte aber extra vom Arzt frei bekommen. Und da waren dann 60 Gäste im Saal auf Gut Höhne, alle im Alter meines Mannes. Andi hat zu den Gästen gesagt: „Wenn mein Vater nicht zu unseren Konzerten kommt, dann kommen wir eben zu ihm!“ Und das war wirklich alles, was er damals gesagt, und dann haben sie gespielt. Eigentlich wollten sie nur drei Lieder bringen, aber dann ging das zwei Stunden. Und die Leute waren total begeistert und haben auf den Tischen getanzt.

Danach hat sich die Einstellung von Andi Vater grundlegend geändert…

Er hat an seinem Geburtstag einfach gesehen, wie gut die Band wirklich ist. Und vor allem haben ihm die Texte sehr imponiert. Er fand immer gut, dass das kein Blah-Blah war. Er ist von da an sogar immer in die Musikabteilungen der Kaufhäuser gegangen und hat gefragt: „Wo haben Sie denn die neueste Platte von den Toten Hosen? Die müssen Sie nach ganz vorne stellen!“ Wo er vorher gar kein Interesse hatte, hat er hinterher total mitgefiebert.

Wann haben Sie Ihr erstes Konzert der Hosen gesehen?

Das war im Tor 3 in Düsseldorf, eine kleine Bühne mit einem kleinen Saal. Und dann ging man die Treppe hoch, und dort war dann eine Tribüne. Da habe ich damals auch den Herrn von Holst getroffen, Kuddels Vater. Und von da an bin ich überall hin, habe mir immer die Karten zurücklegen lassen, bin immer Backstage gewesen. Ich habe fast alle Konzerte in der Umgebung besucht. Am Anfang habe ich die Konzerte aber natürlich vor allem deshalb besucht, weil da mein Sohn mitgespielt hat. Meine Musik ist das erst mit der Zeit geworden. Mittlerweile haben sie ja auch viele Lieder dabei, bei denen die Melodien wunderschön sind. Andi ist ja auch mal in einem Interview gefragt worden, wer denn der größte Hosen-Fan sei, den er kenne. Und da hat er gesagt: „Meine Mutter.“

Hinterher haben Sie dann auch Konzerte zusammen mit Ihrem Mann besucht?

Wir waren zusammen beim 1000. Konzert im Rheinstadion, wo dieses Unglück passiert ist. Ich weiß, dass die ganze Band sehr darunter gelitten hat. Und auch der Andi ist damit nicht fertig geworden. Wir haben Abende und Nächte diskutiert. Andi hat gesagt: „Das ist bei UNSEREM Konzert passiert.“ Und wir haben gesagt: „Da könnt Ihr doch nichts für, das war ein Unglücksfall. Das kann bei JEDEM Konzert passieren.“ Es war sehr günstig, dass die ganze Familie des verstorbenen Mädchens große Tote-Hosen-Fans waren. Die Band hat sich dann sehr um die Familie gekümmert. Sie sind auch öfter mal hingefahren nach Holland. Und dieser Kontakt, der übrigens bis heute besteht, hat die Toten Hosen wieder etwas beruhigt. Dadurch konnten sie alle besser mit dem Geschehenen umgehen.

Die 80er: Campino randaliert in einer Talkshow von Tele 5

Wie haben Sie ansonsten die Entwicklung der Band verfolgt?

Sie wollten ja nicht absichtlich berühmt werden. Sie wollten einfach Spaß haben. Und sie haben nicht darauf hin gearbeitet, wie das heutzutage viele junge Bands machen. Ich war ja 2004 auch bei „Rock am Ring“ und habe zum ersten Mal eine solche Menschenmenge vor der Bühne gesehen. Die meisten Fans dort waren ja extra wegen der Toten Hosen gekommen. Und ich hatte einen Platz direkt neben dem Mischpult, habe Ohrenstöpsel bekommen, durfte die Bühne selbst aber nicht betreten. Von dort aus habe ich dann mit meiner Digitalkamera gefilmt. Das war natürlich ausgerechnet die Seite, auf der Andi unterwegs war. Und als die Toten Hosen anfingen und dann alle "Hosen, Hosen!" grölten, ging einem das schon durch Mark und Bein. Da kriegt man wirklich Gänsehaut.

Wie haben sich die einzelnen Bandmitglieder entwickelt?

Sie sind alle viel vernünftiger geworden. Und sie sind auch etwas seriöser geworden. Früher waren sie eher mal etwas flapsig. Sie haben sich halt ganz normal weiterentwickelt. Das Schönste für mich war aber immer, dass sie die ganze Zeit auf dem Boden geblieben sind und keinen Höhenflug gekriegt haben. Ich kann bis heute mit den anderen Bandmitgliedern reden wie mit jedem anderen. Den Campino kenne ich ja schon von Kindheit an. Der hat mit Andi früher ja auch schon zusammen Hockey gespielt. Er hat damals hier in Mettmann mit seinen Eltern und fünf Geschwistern direkt bei uns gegenüber gewohnt. Und er war wohl das, was man einen „Vorreiter“ nennt. Die anderen Jungs kamen ja erst nach und nach dazu.

Sie sind nicht zufällig ausgewählt worden, für „Friss oder stirb“ die Amateurvideos aus dem Bandarchiv zu kommentieren. Sie pflegen das Filmen ja schon länger als ihr Hobby.

Der Andi hat mir als erster eine Filmkamera geschenkt, weil er wusste, dass ich auch immer schon gerne fotografiert habe. Das war eine Super8-Kamera. Mein Mann war am Anfang zwar etwas genervt, dass ich immer die Kamera vor der Nase hatte. Aber als er dann meinen ersten selbst geschnittenen Film gesehen hatte, mit Musik und mit Text, war auch er begeistert. Und als meine Kinder 18 Jahre alt wurden, habe ich ihnen dann jeweils einen Film über ihre Kindheit zusammengestellt. Ich habe mir zu Hause ein kleines Studio eingerichtet, mit zwei S-VHS-Geräten, einem Mischpult und einer Musikanlage. Und dort liegt mittlerweile natürlich auch noch so einiges Rohmaterial von den Konzerten der Toten Hosen. Der Ton ist bei den alten Aufnahmen allerdings meistens etwas übersteuert…

Ausschnitt aus der DVD „Friss oder Stirb” http://amzn.to/2nIflsF

Der Film über Andis Kindheit ist auch im Bonusmaterial der „Friss oder stirb“-DVD enthalten. Wie liefen die zusätzlichen Dreharbeiten in Ihrem Wohnzimmer ab?

Der Produzent Stefan Kloos ist mit einem kleinen Kamerateam vorbei gekommen. Der Toningenieur hat am Fenster gesessen und alles wurde professionell ausgeleuchtet. Ich hatte ja vorher noch nie MTV geschaut. Bevor die zu mir kamen, habe ich mir das also erstmal angeguckt. Und ich dachte: Gott, das ist ja schrecklich! Diese ewigen Klingeltöne! Dann war das Kamerateam aber sehr freundlich, und für den Andi würde ich ja sowieso alles machen. Die Dreharbeiten sollten eigentlich nur ein paar Stunden dauern, es ging dann aber doch bis zum späten Abend. Eigentlich hätte ich ja auch lieber wieder selbst gefilmt, aber plötzlich wurde ich zur Hauptperson erklärt und musste mich mit aufs Sofa setzen. Die Toten Hosen haben sich aber sehr anständig verhalten und keinen Tropfen Alkohol getrunken. Das wäre vor 20 Jahren noch anders gewesen (lacht).

Wie haben Sie den Start der Serie auf MTV erlebt?

Dann kamen die ersten Folgen und sofort war „Mutter Meurers Videokiste“ dabei, und zwar die Bilder von einer wilden Busparty aus den Anfangsjahren der Band. Da habe ich gesagt: Müsst Ihr denn ausgerechnet diesen Film bringen? Da denken die Leute doch, ich hätte diesen Film gemacht! Und ich habe die Toten Hosen auch erstmal gefragt: Wer hat denn das alles hinterher aufgeräumt? Die Antwort war: Der Busfahrer. Ich war total entsetzt. Das kannte ich aus meiner Jugend überhaupt nicht. Überrascht war ich auch von den Aufnahmen dieser Fernsehshow aus den 80er Jahren, bei der Campino randaliert hat. Mein erster Eindruck war, dass das alles gestellt gewesen ist. Die Band hat er mir dann aber erzählt, dass das damals live über den Sender gegangen. Campino hat mir aber versprochen, dass er das heute nicht mehr machen würde.

Andi hat mal auf die Frage „Welche Charaktereigenschaften hast Du von Deinen Eltern vererbt bekommen?“ folgendermaßen geantwortet: „Reiselust, von meiner Mutter“. Wo sind Sie schon überall hingereist?

Vielleicht habe ich sie auch von ihm geerbt (lacht). Er hat mir auch schon sehr viele Tipps geben können. Zum Beispiel hat er mich auf die Bahamas geschickt, weil man da in Bimini mit den Delfinen schwimmen kann. Und als ich nach Australien geflogen bin, hat er mir Fraser Island empfohlen. Da bin ich dann 14 Tage lang alleine kreuz und quer durch das Land gereist. Ich war mittlerweile in Thailand, Sri Lanka, Brasilien, Argentinien, Chile, Peru, Ecuador, den Galapagos-Inseln und Tobago. Jetzt wollte ich zuletzt noch nach Jamaika oder Kuba. Da hat Andi mir zu Kuba geraten. Und da habe ich dann Castro im Fernsehen gesehen, wie er Schnellkochtöpfe angepriesen hat.