„Gleich nebenan war das Totenschiff“
Wie wurden die Goldenen Zitronen Mitte der achtziger Jahre aus der Taufe gehoben?
Schorsch Kamerun: Wir kamen aus der Provinz nach Hamburg, waren um die 20 Jahre alt und hatten schon ab den späten Siebzigern alle in anderen Bands gespielt (Ka Spriza, bsg3, Essen mit Spass, Kacke etc. ). Es gab und gibt eine Wohnung, in der sogenannten "Buttstrasse" am Hamburger Fischmarkt, in der wir alle lange wohnten. Gleich nebenan war das "Totenschiff" (das ehemalige "Krawall 2000"), einer der ersten Punkläden in der BRD überhaupt, welchen wir in seiner Endphase mitgestalteten. Der Club war einer der zentralen Treffpunkte der subkulturellen Szene in Norddeutschland. In der nahen "Hafenstrasse" haben wir damals unsere ersten Konzerte gespielt. Die dortigen besetzten Häuser und deren Bewohner wurden in dieser Zeit zum Symbol der linken Gegenkultur. Wir fühlten uns immer als ein Teil davon und vertreten bis zum heutigen Tag die Ideale des politischen und kulturellen Widerstandes der, Ende der Achtziger, an diesem Ort am sichtbarsten wurde.
In der nahen "Hafenstrasse" haben wir damals unsere ersten Konzerte gespielt. Die dortigen besetzten Häuser und deren Bewohner wurden in dieser Zeit zum Symbol der linken Gegenkultur. Wir fühlten uns immer als ein Teil davon und vertreten bis zum heutigen Tag die Ideale des politischen und kulturellen Widerstandes der, Ende der Achtziger, an diesem Ort am sichtbarsten wurde.
Kannst Du einen Überblick über die Hamburger Bandszene der 80er geben?
Schorsch Kamerun: In den frühen Achtzigern stand Hamburg für stumpfen, aber auch sehr energetischen Pogopunk a là "Razors", "Buttocks", "Coroners". Wir hatten eher mit den Bands "Abwärts" sowie den Frauenbands "3/10tel Toleranz" und "X-mal Deutschland" zu tun. Die einzelnen Szenen waren eher getrennt. es gab die sehr emotionale Punkrockfraktion, aber auch eine etwas schickere New Wave-Abteilung. Wir haben uns da stilistisch nie so festgelegt, nach außen aber immer eher für die punkigere Variante plädiert.
1986 wurdet Ihr einer größeren Öffentlichkeit bekannt - mit dem sogenannten Skandalstück "Am Tag als Thomas Anders starb". Wie kam es zu dem Stück und wie waren die Reaktionen?
Das Stück war nichts weiter als einfacher Spaß. Man machte sich lustig über dümmliche Mainstreambarden. Die Form war ziemlich krass gewählt, was die gesamte presse auf den Plan rief. Wir mussten Bildzeitungsreporter aus unseren Konzerten entfernen und die Bravo schrieb, ob man wollte oder nicht. Die damalige Frau von Thomas Anders, Nora, rief bei uns an - und erlag dann in Hysterie.
Die damalige Frau von Thomas Anders, Nora, rief bei uns an - und erlag dann in Hysterie.
Wo würdest Du die Zitronen dieser Zeit im Vergleich zu Hosen oder Ärzten einordnen?
Wir kamen aus der gleichen Szene, nur aus unterschiedlichen Städten. die Ärzte wollten Popstars werden, die Hosen waren immer die Hosen - und wir ahnten nach einigen Erfahrungen mit dem größeren Musikgeschäft und seinen Mechanismen, das wir uns dagegen verwehren müssen. Als die Ärzte sich auflösten, bekniete uns die Bravo doch bitte deren Nachfolger zu werden mit Homestory und größeren Serien im Heft. Wir haben das abgelehnt wie auch alle Plattenverträge der Industrie. Für uns hatte das Lebensgefühl "Punk" auch immer eine betont antikapitalistische Seite. Wir verurteilen nicht grundsätzlich den Werdegang anderer, teilweise sehr erfolgreich gewordener Kollegen, aber unsere persönliche Position ist eine eindeutige.
Was waren Eure spannendsten Touren?
Touren war anfangs das Aufregendste, was man sich vorstellen konnte. Wir haben uns aufgeführt wie Wikingersaurier und dabei meiner Oma ihre Enkel versoffen. Man kann sagen: Wir haben den Kids die Ohren abgebissen, um sie nach Drogen oder so zu untersuchen. Wir waren mit den Hosen auf der "Damenwahl"- Tour. In schöner Erinnerung ist noch der Helgoland-Ausflug. Später haben wir dann diverse Male im Ausland gespielt. Die besten Reisen waren eine Baskenland-Tour, eine in das gerade offene Tschechien und Konzerte in Chicago und New York.
Es folgte bei den Zitronen der Übergang von Fun-Punk-Texten zu Politthemen. Der Musikstil wechselte ebenso - und das mit einer Platte, die "Punkrock" hieß. Im Jahr 1991 gab es plötzlich Stücke wie "80 Millionen Hooligans".
Für uns war das kein plötzlicher Wandel. Die Themen waren sowieso präsent, nur wussten wir jetzt, wie wir das ausdrücken konnten, ohne dabei nur einfache Slogans wie "Bullenschweine" zu singen. Das hatten andere vor uns getan. Und wir mussten lange suchen, um den eigentlich gleichen Inhalt neu zu verpacken, um ihn wieder interessant werden zu lassen. Außerdem war die Situation in der BRD mit der Wiedervereinigung noch unerträglicher geworden, was Rassismus und Ausländerhatzstimmung anging.
1996 hast Du Dein erstes Soloalbum "Warum Ändern schlief" veröffentlicht, das musikalisch als Lo-Fi-Pop bzw. "Punk-Hop" eingeordnet wurde. Welche musikalischen Einflüsse hast Du verarbeitet?
Ich wollte Dinge tun, die ich bei der reinen Bandarbeit nicht machen konnte - so auch den Umgang mit dem Computer als Musikinstrument versuchen. Ansonsten war mir alles recht, was irgendwie nach Frickelgerassel klang und trotzdem in mein minimales Songgefühl passte. Ein großer Privatkindergarten voll Kunstambition, sehr gelungen.
Auf der Platte befanden sich Titel wie "Hier entsteht ein super Markt", "Menschen haben keine Ahnung", "Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens" oder "Immer muss ich Flüssigkeiten zu mir nehmen". Was hast Du inhaltlich für ein Konzept verfolgt?
Mir ging es um den klassischen Protestsong mit modernen Mitteln, aber bitteschön auch noch abstrakt. Seitdem bin ich ein gewichtiger Künstler in der Freejazz- und Staatsmuseumsszene. Ich werde gebucht für Empfänge im Reichstag, wenn mal was Originelles hermuss.
1998 kam dann ein weiteres Zitronen-Album: "Dead School Hamburg". Wie siehst Du die Musikszene Hamburgs heute?
Hamburg hat nach wie vor eine geschlossene Szene. Es gibt gewisse Grundhaltungen bei denen sich alle einig sind. Die gemeinschaftliche Struktur hat einen hohen Stellenwert und alle wissen um den Wert dessen. Zwischen Bands wie "Blumfeld", "Tocotronic", "Die Sterne" oder auch elektronischen Acts wie "Ego Express" entsteht nie eine verletzende Konkurrenz; auch wenn Stil und Arbeitsweise sehr verschieden sind herrscht immer auch Solidarität. Die Hip Hopper sind eine neue Generation, deren Auslegung noch etwas experimenteller verläuft. Sie unterstehen ihrer eigenen Moral. Dennoch sind wir mit all den Figuren mehr oder minder freundschaftlich verbunden und erleben auch schöne gemeinsame Abende mit Alkohol.
Dir gehört gemeinsam mit Rocko Schamoni der Pudel Club in Hamburg. Welches Programm läuft dort?
Wir sind ein ultramoderner Zeitgeistladen, der jeden noch so winzigen Trend aufspürt, um ihn dann in unserer Kaschemme zu zerstören.
Alles ist erlaubt, sonst wird es von uns verboten. Es gibt einen Live-Sampler ("Operation Pudel XL" mit den "Zitronen", "Rocko Schamoni", "Billy Childish", "Helge Schneider", "Bo und Bodo aus Düsseldorf"), der die Vielseitigkeit des Programms dokumentiert. Im Frühling 2001 fahren wir auf eine Pudel-Tour mit DJ Koze und anderen Trinkern.
Wie kamst Du zum ersten Mal mit den Hosen in Kontakt?
Ich kannte die Vorgängerband ZK und war deren süßester Fan. Circa 1981, 1982 habe ich dann mit einem Freund zusammen ein Konzert der Hosen in meinem Heimatdorf Timmendorfer Strand veranstaltet. Ein toller Erfolg! Seitdem sind wir in endloser heißer Liebe, wie nur Punx sie empfinden können.
Wer hatte die Idee zu den "Für immer Punk" Aufnahmen?
Das Stück entstand zusammen mit Rocko. Wir fanden, dass so ein wichtiges Thema mit vielen anderen geteilt werden musste und luden die damalige Elite der deutschsprachigen Punkszene plus den "Alphaville"-Sänger ein mitzumachen.
Wie beurteilst Du die musikalische Entwicklung der Toten Hosen?
Die Hosen sind sich in erster Linie treu geblieben. Sie schaffen es immer noch genauso begeistert "Bommerlunder" zu spielen wie vor 20 Jahren. Ich verstehe das nicht. Dafür bin ich aber auch nicht so beliebt wie zum Beispiel der Breiti.
Wie heißt Dein DTH-Lieblingssong aller Zeiten?
Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete Dich zuletzt als "Pop-Anarcho" - wie schätzt Du Deinen Status heute selbst ein? Wie wichtig ist linke Politik heute für Dich?
Tatsächlich versuche ich in all meinen Kunstformen immer meine politische Haltung einzubringen. Ich glaube an die Aussagekraft von Texten - und auch eine bestimmte Ästhetik kann unmissverständlich sein. Ideale sind keine Mode, die man wegwerfen kann wie einen Turnschuh, wenn man ihn nicht mehr mag. Nur sollte man von Zeit zu Zeit das Transportmittel ändern, sonst wird es langweilig und keiner schaut mehr hin. Deshalb werde ich kommendes Jahr in einem Bananenkostüm auf einer Schlauchbootrakete im Vorprogramm der Hosen explodieren und dabei meine Parolen brüllen wie etwa: "Und jetzt alle an die Wand, Ihr Biersoldaten!" Der Rechtsradikalismus ist nicht plötzlich aufgekeimt, nur die Presse erkannte das nach zehn Jahren Wiedervereinigung so ein Thema mal wieder groß zurückkommen kann - und genauso werden sie es verschwinden lassen. Rassismus und Totschlag gehören zur Normalität in Deutschland und werden mal mehr, mal weniger beachtet. Ein NPD-Verbot - wenn es denn durchkommt - würde die Partei nur bekannter machen. Danach würden die selben Leute unbeobachteter etwas Ähnliches aufziehen, sich schlicht umbenennen.
Ideale sind keine Mode, die man wegwerfen kann wie einen Turnschuh, wenn man ihn nicht mehr mag. Nur sollte man von Zeit zu Zeit das Transportmittel ändern, sonst wird es langweilig und keiner schaut mehr hin. Deshalb werde ich kommendes Jahr in einem Bananenkostüm auf einer Schlauchbootrakete im Vorprogramm der Hosen explodieren und dabei meine Parolen brüllen wie etwa: "Und jetzt alle an die Wand, Ihr Biersoldaten!"
Der Rechtsradikalismus ist nicht plötzlich aufgekeimt, nur die Presse erkannte das nach zehn Jahren Wiedervereinigung so ein Thema mal wieder groß zurückkommen kann - und genauso werden sie es verschwinden lassen. Rassismus und Totschlag gehören zur Normalität in Deutschland und werden mal mehr, mal weniger beachtet. Ein NPD-Verbot - wenn es denn durchkommt - würde die Partei nur bekannter machen. Danach würden die selben Leute unbeobachteter etwas Ähnliches aufziehen, sich schlicht umbenennen.
In diesem Jahr hast Du in Hamburg Hubert Fichtes Text "Die Palette" als Regisseur auf die Bühne gebracht. Hat man sich das als "seriöses" Theater vorzustellen - und wie kam es zum Engagement des Mitbegründers der Grün Alternativen Liste (GAL) Thomas Ebermann?
Das Stück war der erste deutsche Roman der "beat generation". Es handelt von einer Szene, Mitte der Sechziger, die keine Lust hatte, den vorgezeichneten Weg "Ausbildung-Beruf-Familie" zu gehen und statt dessen ganz bewusst erst mal gar nichts tat und mit allem Möglichen experimentierte. Es wurde von mir als "anspruchsvolles Bühnenwerk" (Breiti) aber sowas von superseriös in Szene gesetzt... Thomas Ebermann ist ein altes Rhetorikidol von mir. Ich halte ihn für den besten Politiker Deutschlands.
In Zürich arbeitest Du zur Zeit mit dem Videokünstler, DJ und Schauspielregisseur Stefan Pucher zusammen - in Shakespeares "Sommernachtstraum" - wie bist Du konkret an der Inszenierung beteiligt?
"Paul ist tot" von den Fehlfarben kommt nicht vor. Das ist eine weitere Presselüge. Wir verwenden eher das weiße Album der Beatles als Musikgrundlage. Ich selbst habe Texte ergänzt, an Stellen wo der feine Herr Shakespeare mal ein wenig abwesend war. Außerdem singe ich ein passendes Anarcho-Lied und muss jetzt monatelang jeden Abend am gleichen Ort auftreten. Wenn das die OH-Subs mitkriegen...
Was sind Deine Zukunftspläne?
Gerade erscheint mein neuestes Projekt "Sylvester Boy" - ein brutaler Angriff auf ganz Amerika! Die Zitronen fahren im Januar nach Chile, um eine neue LP aufzunehmen. Also: Platte - Tour - Platte - Tour... Nächstes Jahr mache ich wohl mit Rocko zusammen ein Musical am Schauspielhaus Zürich. Ansonsten wollen wir noch in diesem Jahr die Regierung stürzen.
Ansonsten wollen wir noch in diesem Jahr die Regierung stürzen.
Schorsch Kamerun