„Tonmann ist kein Lehrberuf“
Stefan, Du warst auf der größten Tour, die die Hosen je gespielt haben, für den Sound zuständig. Welches ist jetzt Dein neues Lieblingsstadion – das in Köln oder das in Düsseldorf?
Ich bevorzuge zum Mischen eher klassische Zweitligastadien. Der Idealzustand ist: ein Spielfeld, eine kleine Tribüne, Platz für 25.000 bis 30.000 Leute und kein Dach. Solche Stadien sind für Live-Musik eigentlich immer super.
Warum?
Weil man keinen Widerhall berücksichtigen muss. Das ist ein Zustand wie auf einem freien Feld. Sobald wie in Köln und Düsseldorf große Tribünen dazu kommen, schallt immer etwas zurück. Sobald man eine Fläche umschließt, wird die Musik reflektiert. Das ist vielleicht für die Stimmung besser, aber mein Job wird dadurch schwieriger.
Warum ist es in Stadien besonders schwierig?
Fußballstadien werden meist so gebaut, dass man die Zuschauer auf dem Platz hören kann. Das heißt im Umkehrschluss: Alles, was die Fans mitsingen, kommt wieder nach unten zurück.
Was beeinträchtig Deine Soundarbeit dort am meisten?
In Düsseldorf zum Tourabschluss war das Dach zum Beispiel komplett geschlossen. Die Folge ist: Wenn ich unter einem solchen Dach einen Ton raus schicke, kommt er nicht nur von den Tribünen, sondern auch vom Dach zurück. In Düsseldorf war die Nachhallzeit im Bassbereich fast sechs Sekunden. In der Zeit kann Campino praktisch das nächste Stück ansagen.
Wie bereitest Du Dich auf ein Stadion oder eine Halle vor?
Wenn mir ein Konzertort unbekannt ist, schaue ich mir die Baupläne an. Die raumakustischen Gegebenheiten definieren sich durch klassische Geometrie. Es ergeben sich dann Flächen, wo Boxen hinzielen sollten, und solche, wo man besser ein paar Plätze sperrt. Man kann durch die Beschallungsanlage schon einigen Einfluss nehmen, und alles Weitere hört man dann hoffentlich beim Soundcheck.
Wie habt Ihr das Düsseldorfer Stadion versorgt?
Dort hingen bestimmt 160 Lautsprecher unter der Decke, in großen Zeilen zusammengefasst. Weil das Stadion so hallig ist, haben wir versucht, so nah wie möglich an die Leute ranzukommen. Es gab keinen Platz, der weiter als 65 Meter von einem Lautsprecher weg war. Es ging darum, das Gefühl zu vermitteln, man steht immer direkt vor einer Box, selbst wenn sie relativ weit oben hing.
Ein paar Monaten vorher hatten in Düsseldorf Depeche Mode gespielt. War das mit den Lautsprechern damals genauso oder habt Ihr eine individuelle Lösung entwickelt?
Man kann schon sagen: Wir haben es vom technischen Equipment auf die Spitze getrieben!
Wie viele Quadratmeter im Stadion gehören Dir?
Ich brauche zwölf bis 15 Quadratmeter für die Mischpulte, also ungefähr vier mal dreieinhalb Meter. Die Konstruktion ufert aber inzwischen immer etwas aus – mit Gitter daneben, Durchgang und Toilettenhäuschen. Das ist kein Witz! Die Toilette gehört zur Standardausstattung, weil man während einer Show natürlich nicht weg kann. Als DJ hat man einen etwas längeren Song dafür, ich habe maximal eine Ansage lang Zeit.
„Weil sich die Hosen selber ja nur über den Monitor hören, wollen sie immer wissen, wie es sich draußen angehört hat“
Ihr sitzt zu dritt zusammen. Wer ist außer Dir noch in dem Gerätepark tätig?
Zunächst einmal Thomas Mehlhorn, der Systemingenieur, also der Mann, der sich mit mir zusammen die Anlage ausgedacht hat. Es gibt verschiedene Systeme, mit denen man solche Größenordnungen beschallen kann. Da gibt es allerdings keine allzu großen Qualitätsunterschiede. Es ist eher die Frage: Möchte man Audi, BMW oder Mercedes fahren? Wie viele Lautsprecher man genau braucht und wo die hinkommen, das entscheidet Thomas. Er kontrolliert während des Konzerts seine Verstärker, misst Frequenzpegel und sorgt dafür, dass es möglichst überall annähernd gleich klingt.
Wer ist der dritte Mann?
Neben uns sitzt da noch Paul Wunderlich, der u.a. die Vorbands betreut, und unser „mobiles Ohr“ ist. Sprich: Er kann während des Konzerts herumlaufen. Wenn der Bass vorne gut klingt, heißt das ja nicht, dass man die Töne auch hinten hören kann. Wenn zum Beispiel die Gitarre hinten zu sehr sägt, muss man vorne einen Kompromiss finden. Wenn zum Start der Show irgendetwas nicht passt, kann man das immer noch aussteuern.
Einmal für alle Nichtmusiker: Was genau machst Du während der Show?
Wir nehmen alle Instrumente, die auf der Bühne stehen, ab und schicken die zu meinem Mischpult. Von dort aus kann ich die Lautstärke und den Klang eines jeden Instrumentes einstellen. Ich kann außerdem Hall, Effekte und Echos drauf legen. Und dann versuche ich das Ganze so zu mischen, dass es sich für das Publikum gut anhört.
Wie viel von dem, was Du während eines Hosen-Konzertes machst, ist vorher festgelegt?
In der Tourvorbereitung denke ich mir lediglich aus, wie die Kanäle angeordnet sind, welches Instrument an welcher Stelle liegt. Wenn man dann zum ersten Mal mit der Band probt, mischt man sich die ersten Sachen zusammen. Ich nehme mir die Lieder dann einfach auf und kann anschließend auch ohne Band üben. Normalerweise üben wir immer zwei Tage vor Tourstart in der ersten Halle. Wenn die Band weg ist, ist das wie eine Studiosituation. Ich kann mir jeden Song einzeln anhören, kann die einzelnen Instrumente nachregeln.
Wann steht alles so, dass man nicht mehr viel ändern muss?
Das entwickelt sich während der ersten zehn, zwölf Tourtermine. Es ist allerdings eine Eigenart der Toten Hosen, dass sie jeden Tag mindestens ein anderes Lied spielen müssen, dass man noch nicht auf dem Pult hatte (lacht). Da muss ich mir immer erstmal überlegen, was das für ein Stück ist und auf welcher Platte das war. Ich lege mir dann für den Soundcheck schon mal etwas zusammen, was passen könnte. Danach kann man das noch mal nachregulieren und speichern. Außerdem muss man natürlich während der Show noch einiges nachregulieren , es ist ja kein Playback von der Maschine, sondern es sind Musiker, die immer ein bisschen anders spielen.. Es ist also nicht so, dass ich auf Tour irgendwann nur noch im Sessel sitze und nichts mehr machen muss.
Was verändert sich auf einer Tour?
Es kommen neue Songs hinzu, dafür fallen andere weg, es ändert sich schon mal das Tempo. Dann muss ich zum Beispiel auch das Tempo des Echos dem Song anpassen. Oder elektrische Stücke werden akustisch gespielt. Wir haben bei den Hosen zudem auch unterschiedliche Versionen für die große und kleine Bühne.
Wie viele Songs hast Du inzwischen drauf?
Mittlerweile an die 90 verschiedene, die die Hosen seit Oktober 2012 gespielt haben. (Einwurf von Kuddel: So viele habe ja noch nicht einmal ich drauf.) „Alles wird gut“, das am zweiten Tag in Düsseldorf mal wieder gespielt wurde, habe ich zum Beispiel unter Nummer 52 wiedergefunden.
Die Hosen hatten bei dieser Tour eine zwei Bühne mitten im Publikum installiert, auf der eine Zugabe gespielt wurde, die so genannte B-Stage. Wie war das für Dich?
Das ist eine der großen Herausforderungen: Bühnen mitten im Publikum. Dadurch, dass die B-Stage nur 15 Meter von mir entfernt stand, schaute man den Zuschauern die ganze Zeit in die Gesichter. Sonst schaut man ja nur auf Hinterköpfe und auf die Bühne. Wenn es mit der Zugabe los ging, drehten sich alle ruckartig um. Zum Glück schauen die nicht mich an, sondern an mir vorbei. Es ist akustisch eine Herausforderung – vor allem für die Band. Sie stehen recht weit von der Anlage weg, der Schall braucht doch einige Zeit, bis er unten ankommt. Das, was man im Körper fühlt, und das, was man im Ohr hört, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Kuddel: Man hört im In-Ear den Sound, der direkt übertragen wird. Der Sound, der über die PA übertragen wird, braucht im schlechtesten Fall eine Fünftelsekunde. Das heißt: Wenn es in der Halle so laut ist, dass der Sound von der PA das In-Ear übertönt, hat man echt ein Problem. Das haben wir anfangs gar nicht bedacht, als wir mit der B-Stage anfingen. Ein anderes Problem ist, dass – wenn die Leute klatschen, klatschen sie für uns komplett falsch. Sie hören das, was wir spielen, einfach viel später. Oder wenn sie mitsingen, singen sie eine halbe Sekunde später mit. Das ist völlig skurril. Man muss vermeiden, jemanden beim Singen genau zu beobachten.
Wie bist Du Soundmann geworden?
Mir ist nichts anderes eingefallen, was man mit halbwegs Ahnung in Musik, Mathe und Physik beruflich machen kann. Meine einzigen Stärken in der Schule waren Musik und Physik. Ich komme ursprünglich aus Augsburg, und es gibt in München eine Schule für Tontechniker, da habe ich mal reingeschnuppert. Dort wird versucht, einem viel beizubringen, aber Tonmann ist kein Lehrberuf im klassischen Sinne. Das ist vor allem Learning by Doing.
Du hast Dir also alles selbst drauf gepackt?
Ich habe mich auch mal in Düsseldorf an der Robert-Schumann-Hochschule beworben, wo man Ton- und Bildingenieur studieren kann. Dort habe ich es aber nicht einmal bis zur Aufnahmeprüfung geschafft. Wenn ich dort hätte landen wollen, hätte ich auf meinem Instrument noch sehr viel üben müssen. Da hatte ich keine Lust zu. Zudem hatte ich inzwischen bei einem kleinen PA-Verleih angefangen, mit dem ich rasch so viel zu tun hatte, dass keine Zeit mehr gewesen wäre...
Was hast Du bei dem PA-Verleih gelernt?
Man hat mir die Chance gegeben, einfach mal anzufangen und mich in die Nesseln zu setzen. Die haben mir irgendwann einfach den Schlüssel für einen geladenen LKW in die Hand gedrückt und gesagt: Im Jugendzentrum spielen drei lokale Bands, fahr Du da mal hin und mach das Konzert. So habe ich also 1991, mit 21 Jahren, zum ersten Mal live Hand an ein Mischpult gelegt. Und, ich glaube, ich habe mich nicht ganz dumm angestellt. Ich hatte auch keine große Angst vor der Situation. Ja, und dann wurden es mit der Zeit immer größere Verleiher und Bands.
Wer war der erste bekanntere Musiker, für den Du gearbeitet hast?
Linton Kwesi Johnson, der Dub-Reggae-Sänger, Anfang der 90er Jahre in einer größeren Halle in Augsburg. Zu dieser Zeit gab es öfter die Situation, dass man für die PA-Firma hinfuhr, um die Beschallungsanlage aufzubauen, und dann brachte die Band einfach niemanden mit fürs Mischpult. So hatte ich die Chance, das regelmäßig zu übernehmen und praktische Erfahrung zu sammeln.
„Fußballstadien werden meist so gebaut, dass man die Zuschauer auf dem Platz hören kann. Das heißt im Umkehrschluss: Alles, was die Fans mitsingen, kommt wieder nach unten zurück.“
Inwiefern hat sich diese alte Praxis gewandelt?
Heutzutage ist durch die Technik alles anders geworden. Jeder dritte musikmachende Mensch hat einen Computer zu Hause mit einer Software, um seinen eigene Musik zu mischen. Heute kann man ganze Konzerte am Laptop mitschneiden. Was dabei aber gerne vergessen wird: Es ist aber etwas anderes, ob man zu Hause auf zwei Lautsprechern mischt oder auf einer Clubanlage.
Mit wem durftest Du zum ersten Mal auf Tour gehen?
Eine der ersten größeren Tourneen war ein Vierer-Metal-Package. unter anderem mit Kreator. Für die damalige Firma habe ich viele Deutsch-Metal-Band begleitet und auch die Punk-Legende Toy Dolls, die ja jetzt auch auf der Tour als Support-Band der Hosen dabei war. Als Green Day nach Deutschland kamen, war ich auch am Start, hauptsächlich zuständig für den Monitorsound und das Boxenaufbauen. Eine der ersten Bands, bei der ich wirklich als Mischer mitgefahren bin, waren Run DMC.
Eine ganz schöne Bandbreite...
Ich finde es wichtig, sich nicht auf eine Sparte festzulegen. Ich arbeite zum Beispiel auch für die technische Leitung eines großes Theaterfestivals im Ruhrgebiet oder beschalle mal Opernhäuser. Mein Spezialgebiet sind komplizierte Sachen, bei denen viele vorher sagen: Das geht nicht. Meine Devise ist: Genau dann muss man da hingehen und es einfach machen. Ich höre auch zu Hause alles, vielleicht außer Schlager.
Wie bist Du dann Ende der Nuller Jahre an die Hosen geraten?
Ich habe irgendwann mal Sarah Connor gemischt und ihr Produktionsleiter hieß Gerd Knüttel. Im Laufe dieser ganzen Firmenfeiern und Galas sagte Gerd so was ähnliches zu mir wie: „Sollen wir nächstes Jahr nicht mal richtige Musik machen? Hättest Du Lust, als mein Assistent bei Marius Müller-Westernhagen mitzufahren?“ So sind wir 2005 zusammen mit Marius unterwegs gewesen und haben uns gut verstanden. Gerd war offenbar auch mit meiner Arbeit zufrieden. Denn hinterher sagte er: „Dann lass uns doch nächstes Mal die Hosen machen!“
Wann war das genau?
Bei der „Machmalauter“-Tour 2008/09 wurde ich Gerds Assistent. 2012 ist er in den wohl verdienten Ruhestand gegangen, was das Live-Touring-Geschäft angeht, und dann bin ich nachgerückt.
Wann hast Du sie wiederentdeckt?
Als ich den Namen Gerd Knüttel auf der Sarah-Connor-Crewliste gelesen habe. Da habe ich mich gefragt: Was machen eigentlich die Hosen gerade?
Wie oft hattest Du sie live gesehen, bevor Du zum ersten Mal für die gearbeitet hast?
Meine erste Show für die Hosen war kurioserweise erst mein zweites Hosen-Konzert. 2005 hatte mich Gerd eingeladen, einmal vorbeizukommen, und ich war nachhaltig beeindruckt. Die Stimmung bei den Hosen ist einfach eine andere. Bei Marius Müller-Westernhagen geht man ins Konzert, um sich den Künstler anzuhören. Da klatscht man schon mal mit und bewegt sich ein bisschen, aber letztlich geht´s ums Zuhören.
Wie ist es bei den Hosen?
Bei den Hosen ist es eher so, dass man mit ein paar Kumpels hingeht, um eine Party zu feiern. Egal, ob man oben oder unten ist: Es gibt keine sonderliche Trennung zwischen Band und Publikum. Man feiert zusammen einen Abend lang ab. Bei den Hosen ist das wirklich extrem, und das funktioniert sogar in der Größenordnung wie zuletzt. Und es funktioniert auch mit den Leuten, die wegen „Tage wie diese“ dazu gekommen sind.
Wann hast Du bemerkt, dass „Tage wie diese“ so erfolgreich wurde?
Ich habe den Song im Radio gehört und dachte: Hui, hat Potential. Es ist natürlich kein typischer Hosen-Song, aber ein unfassbar gutes Lied. Und massenkompatibel. Es ist einer dieser Songs, die das gefährliche Zeug haben wie „We Are the Champions“ von Queen oder „Lucifer“ von Alan Parsons Project. Man kann sie zu fast jeder Gelegenheit spielen. Das war sicher nicht die Intention der Hosen, aber bei manchen Songs passiert das einfach, dass die durch die Decke gehen. Schon auf den Festivals im Sommer war klar, dass dieses Stück eine herausragende Stellung im Set haben würde.
Mit wem aus der Band hast Du den meisten Kontakt?
Ich spreche viel mit Andi, gerade was die Einlassmusik oder Stimmung angeht oder über Grundsätzliches zur Show. Ich spreche mit Kuddel über Gitarrensounds – und Gitarren. Wenn er mal wieder ein Schätzchen ausgegraben hat, wird das auch gerne mal am Nachmittag gespielt. Und man darf mal seinen Kommentar dazu abgeben, zu welchem Song der Sound passen würde. Campino will vor jeder Show wissen, worauf er achten muss. Entscheidend für ihn ist, wo er nicht hinrennen darf, weil er dann vor einem Lautsprecher steht. Und mit Breiti bespreche ich nach der Show auch mal, was an dem Abend gut war und was nicht so gut.
Warum?
Weil sich die Hosen selber ja nur über den Monitor hören, wollen sie immer wissen, wie es sich draußen angehört hat. Sie wissen nach einem Konzert auch immer noch ganz genau, bei welchem Song vielleicht ein Fehler dabei war. Da kommt auch schon mal jemand aus der Band und lässt sich das Stück noch mal vorspielen. Wir zeichnen im Prinzip erstmal jede Show auf und können das hinterher zurückspulen. Breiti war der Erste, der das spitzgekriegt hat, am nächsten Tag vorbei kam und fragte: Kann ich bitte noch mal in meine Gitarre reinhören? War ich falsch – oder Kuddel?
Wie viele Gitarren hatte Kuddel auf Tour dabei?
Schätzungsweise um die 20. Natürlich spielt er die nicht alle auf der Bühne. Es gibt nachmittags immer einen kleinen Proberaum, in dem man sich warm spielen kann. Dort stehen ein paar Gitarren herum. Und es gibt ein paar Gitarren für die B-Stage. 20 hört sich vielleicht erstmal sehr viel an, ist aber einer Tour dieser Größe durchaus angemessen.
Worauf müsst Ihr achten?
Dass wir nichts aufbauen, wo man hochklettern kann. Sonst ist Campino der Erste, der später oben drauf sitzt. (lacht)
Es gibt einfach Sachen, die nicht dafür geeignet sind, dass man sich da drauf stellt oder daran hochklettert. Wenn man ihm das am Nachmittag zeigt, weiß er das auch. Aber wenn er abends auf der Bühne steht, sieht er vielleicht plötzlich irgendeine „Trittstufe“ – und benutzt sie dann aus alter Gewohnheit auch als solche.
Wann war eigentlich klar, dass es zur Der Krach Der Republik“-Tour ein Livealbum geben würde?
Die Idee kam schon Mitte der Tour auf. So richtig losgelegt haben wir bei den letzten 15 Shows. Da haben wir jedes Mal komplett alles aufgenommen. Und auf der Platte ist im Prinzip immer die beste Version gelandet. Wobei es gerade bei den Hosen immer die Frage ist: Ist die beste Version die am besten gespielte oder ist es die, wo das Publikum am besten reagiert? Bei Liveplatten geht es ja nicht darum, das Studioalbum noch mal nachzuspielen, sondern die Stimmung einzufangen. Es geht darum, dass man sich an die großartige Zeit erinnern kann – als Musiker und als Fan.
Wie unterscheiden sich die alten und neuen Liveplatten der Hosen voneinander?
Da gibt’s eine Entwicklung, die mit der Entwicklung der Band einher geht. Die Hosen haben musikalisch auch einen riesigen Sprung gemacht. Ihre Fingerfertigkeit ist eine andere. Sie spielen ihre Songs in den letzten zehn Jahren noch mal deutlich besser, routinierter. Die ersten Livealben waren noch richtig rau, die hatten fast etwas Bootleghaftes. Wenn man sich früher untereinander Kassetten zugeschoben hat, klang das auch nicht viel anders. Im Laufe der Zeit sind sie technisch immer perfekter geworden. Der Stil von Vincent Sorg ist auch ein ganz anderer. Die letzte DVD aus Argentinien und die Konzerte auf der Waldbühne und im SO36 – das war schon alles sehr gut.
Welche Songs haben auf Tour am besten funktioniert?
Die Klassiker wie „Hier kommt Alex“ laufen immer. „Altes Fieber“ schlug jeden Abend wie eine Bombe ein – als zweiter Song. „Ballast der Republik“, womit es losging, ist sowieso eine Wahnsinnsnummer. Wie viele Bands gibt es, die live als Erstes zwei Songs von der neuen Platte spielen? Wer traut sich rauszugehen und das Publikum mit zwei neuen Stücken zu begrüßen? Andere Bands setzen eher auf Altbewährtes, lassen die Leute in Stimmung kommen und schieben dann erst ein neues Stück ein. Die Startphase war auf der ganzen Tour sehr eindrucksvoll.
Was sonst noch?
„Tage wie diese“, klar. Das ist halt, nicht abwertend gemeint, Stadionrock. Dieses Stück hat ganz nüchtern betrachtet Bruce-Springsteen-Format.
Was ist der schwierigste Song für Dich?
„Moorsoldaten“. Das wurde aber nur anfangs der Hallentour zwei, dreimal gespielt. Das Stück passte nicht richtig ins Set. Es ist zu schwermütig und zu inhaltsträchtig für einen Partyabend. Wenn man gemeinsam eine Party feiert, kann man vielleicht noch eine Ballade wie „Purple Rain“ hören, aber nicht ein Stück mit einem solchen Kontext. Dafür haben die Hosen ja dann die Gedenkkonzerte in der Düsseldorfer Tonhalle gespielt. In dieser Umgebung war „Moorsoldaten“ viel besser aufgehoben.
Wonach wurden die Songs für das Livealbum ausgewählt?
Ich habe mir an jedem Ort Notizen gemacht, welches Stück vielleicht mal weniger funktioniert hat. Ansonsten habe ich einfach immer den kompletten Mix nach dem Wochenende an den Produzenten geschickt. So konnte Vincent Sorg immer schon mal alles zusammenschnibbeln, damit sich die Band das nachher ordentlich anhören konnte. Ich habe da also allenfalls ein bisschen vorsortiert, sonst lag das nicht in meinen Händen.
„Wenn man bedenkt, wie viele Fans kommen und so ein Konzert sehen wollen, ist es eigentlich fahrlässig, nicht alles dafür zu tun, dass es immer einwandfrei über die Bühne geht.“
Campino holte sich ja öfter mal einen Fan ans Mikrophon, zum Beispiel am ersten Abend in Düsseldorf Lisa aus Wuppertal. Eine Herausforderung für den Tonmann?
Klare Antwort: ja. Man weiß ja nicht, wie laut der Fan singen kann. Oder ob er überhaupt singen kann. Es ist jedes Mal wieder die Frage: Was passiert da? Ich würde rückblickend sagen: Deutlich über 60 Prozent der Leute, die oben waren, konnten singen! Ich kann mich eigentlich an keinen erinnern, bei dem das eine Katastrophe war. Wenn jemand eine piepsige Stimme hat, kann ich auch nicht viel machen. Ich habe vor jedem Höllenrespekt, der genug Adrenalin hat, um sich wirklich dorthin zu stellen. Wenn man zum ersten Mal vor 20.000 bis 50.000 Leuten steht, ist das kein Spaziergang. Zum Glück wird man ordentlich von den Scheinwerfern geblendet.
Was ist das Schlimmste, was Dir auf Tour passieren kann?
Dass Campino sich einen Finger abreißt – aber auch das haben wir überlebt. Gut, dass es kein Gitarrist war!
Technisch?
Technik ist Technik. Gerd Knüttel hat den Satz geprägt: „Es sind auch schon Space-Shuttles abgestürzt.“ Man kann sich auf Technik niemals hundertprozentig verlassen. Wir haben für fast alle Show-relevanten Sachen Backup-Systeme. Heutzutage sind viele Elemente Computer-gestützt. Jedem ist schon mal sein Computer abgestürzt oder eingefroren, das kommt vor. Wenn so etwas während eines Konzerts passiert, habe ich ein zweites Mischpult, auf das ich ausweichen kann. Es ist nicht ganz so ausgestattet wie das erste, aber man ist natürlich auf den Ernstfall vorbereitet.
Musstest Du es schon mal benutzen?
Nein, zum Glück nicht.
Wie viele Ersatz-Mischpulte hat eine Band wie Metallica? Drei bis fünf?
Nein, die hatten tatsächlich gar keins aufgebaut, was mich wundert. Eigentlich ist das unverantwortlich. Wenn man bedenkt, wie viele Fans kommen und so ein Konzert sehen wollen, ist es eigentlich fahrlässig, nicht alles dafür zu tun, dass es immer einwandfrei über die Bühne geht. Es geht meiner Meinung nach einfach nicht, dass ein Konzert womöglich beendet ist, weil nach dem dritten Song das Mischpult kaputt geht.
Was bringt Dich aus der Ruhe?
In Hamburg hat jemand in der letzten Umbaupause unkontrolliert einen Bierbecher in die Luft geworfen, der zur Hälfte auf meinem Pult landete – fünf Minuten vor der Show.
Das hat mich nachhaltig aus der Ruhe gebracht. Es ist Gott sei Dank glimpflich abgegangen. Es reicht ja theoretisch ein Tropfen an der falschen Stelle und schon geht irgendetwas Wichtiges kaputt. Man kriegt das aber meistens irgendwie geputzt. Zur Not macht man die Umbaumusik zehn Minuten länger.
Wann geht’s für Dich so richtig los?
Die letzten drei Minuten vor der Show sind für mich genauso adrenalingeladen wie für die Musiker. Da lasse ich mich ungern durch einen Bierbecher aus der Konzentration bringen. Ich kann vor einer Show beeindruckend nervös sein. Man weiß ja vorher nie, was so alles passiert. Ich esse aber immer ausreichend Süßigkeiten, um den Zuckerspiegel hochzuhalten. Und habe auch immer eine Kanne Tee mit dabei.
Gab es für Dich so etwas wie das beste Konzert der Tour?
Es waren viele gute dabei, aber Mannheim hat mir am besten gefallen. Der erste Tag in Bochum war emotional das größte. Dass man Festivals spielt mit 100.000 Leuten, kennt man inzwischen irgendwie, aber mit „Deiner Band“ in einem Stadion zu spielen und festzustellen, dass alle gekommen sind, da gilt es dann einfach: Zeigt, was Ihr könnt! 2008/09 haben wir auch schon kleine Stadien gespielt. Diesmal waren es wie in Bochum aber sogar Doppel-Shows. Wenn man selbst nicht funktioniert, funktioniert die ganze Maschinerie nicht. Jedes Rädchen ist da absolut gleichwertig.
Wie viele Tonmänner gibt’s eigentlich so auf diesem Niveau?
Wir sind eher eine überschaubare Szene. Natürlich sind viele auch in Bochum oder sonstwo vorbeigekommen und haben sich das genau angeschaut, was wir so treiben. Zum Glück gibt’s bei uns aber quasi keine Konkurrenz, jeder ist für etwas anderes Spezialist oder man hilft sich auch gegenseitig mal aus. Mit Philipp Nadolny von den Ärzten habe ich einen gemeinsamen Stammtisch, der wohnt in Dortmund nur 500 Meter von mir entfernt. Klaus Scharff von den Fantastischen Vier betreue ich als Systemingenieur. Fast keiner von uns kann von einer Band alleine leben.