„Im Olympischen Dorf hing das Hosen-Trikot“
Du stammst aus einer alten Handball-Familie. Da war es wohl nicht zu vermeiden, dass auch Du beim Handball gelandet bist?
Ich habe von Kind auf die Begeisterung meiner Eltern mitbekommen, vor dem Fernseher oder in der Halle. Trotzdem habe ich natürlich auch andere Sachen ausprobiert, aber mit sechs oder sieben Jahren gab es bei uns im Osten dann so genannte Schulsportgemeinschaften. Und da habe ich mich recht schnell auf Handball spezialisiert und bereits zwei- bis dreimal die Woche gespielt. Und als ich später mit 14 Jahren zur Kinder- und Jugendsportschule kam, musste ich sowieso alles lernen, auch Turnen oder Leichtathletik, aber eben auch Handball oder Fußball. Da wurde man generell sportlich ausgebildet.
Du bist in der DDR aufgewachsen. Nach welchen Kriterien wurde man damals für die Sportschule ausgewählt?
Es waren 300 Leute in meinem Jahrgang, die alle zur Sportschule wollten. Da gab es dann drei Testverfahren, nach denen aussortiert worden ist. Es wurde getestet, ob man athletisch und fit war und natürlich, ob man auch handballerisch etwas drauf hatte. Außerdem wurde eine finale Körpergröße ermittelt: wie groß man wahrscheinlich werden würde – aufgrund von irgendwelchen wissenschaftlichen Knochentests. Ich hatte damals viel Glück, denn ich war eigentlich viel zu klein und noch nicht weit genug entwickelt. Mit meiner Nominierung wurde wohl eher meinen Eltern, den beiden großen Handball-Stars, so eine Art Gefallen getan.
Welche Erinnerungen hast Du sonst an Deine Jugendzeit im Osten?
Ich bin in Leipzig geboren. Mit sechs Jahren sind wir nach Ost-Berlin gegangen. Ich erinnere mich vor allem an die Schule, in der wir morgens nicht mit Unterricht, sondern mit Sport angefangen haben. Ich war in einer Klasse voller Jungs, die gleichzeitig meine Mannschaft war. Es war alles ziemlich streng, viel Freizeit hatten wir nicht, und am Wochenende standen meistens Spiele an. Da konntest du also nicht mal eben mit deinen Kumpels in die Disco gehen. Meine spätere Jugend war dann etwas offensiver. Da habe ich das Abitur etwas vernachlässigt (lacht).
1988 bist Du DDR-Jugendmeister geworden, 1989 fiel die Mauer. War Dein Lebensplan nicht erstmal komplett auf den Kopf gestellt?
Wir spielten damals alle bei Dynamo, dem Polizeisportverein. Eigentlich war von daher beruflich alles vorgezeichnet. Ich wäre irgendwann Handballspieler, Trainer oder Polizist geworden. Die ganze Sicherung also, die ich für mein Leben hatte, war auf einmal weg. Viele talentierte Sportler aus meiner Klasse hatten dann die Order von zu Hause: „Handball ist ja gut und schön, aber jetzt lernst Du mal einen ordentlichen Beruf!“ Die haben sich dann für den Job entschieden und den Handball aufgegeben. Das war aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt sinnvoll. Ich wollte aber immer lieber Handball spielen.
Wie hast Du in der Wendezeit weiter gemacht?
Ich bin niemand, der unheimlich viel zweifelt oder über Alternativen nachdenkt. Ich denke eher, dass sich immer irgendwas ergibt. Und ich wollte eigentlich immer nur das machen, was mir Spaß macht. Und Handball hat mir nun mal am meisten Spaß gemacht. Ich habe mich also weiter voll auf den Sport konzentriert und kurze Zeit später meinen ersten Profivertrag unterschrieben, bei Blau-Weiß Spandau in West-Berlin. Damals habe ich dort noch für 350 Mark im Monat gespielt…
1993 bist Du nach Gummersbach gewechselt und relativ schnell zum gesamtdeutschen Handball-Star aufgestiegen. Wie waren die größten Unterschiede zwischen Berlin und Gummersbach?
Man wollte es mir so angenehm wie möglich machen und hat mir eine Wohnung direkt an der Hauptstraßenkreuzung von Gummersbach gegeben, damit sich da auch etwas Leben abspielt und ich mich heimisch fühle (lacht). Von Berlin ins Oberbergische, das war sicher nicht ganz so einfach. Es war aber wieder eine neue Erfahrung und alle Leute waren sehr nett zu mir. Wenn ich mal ausbrechen wollte, bin ich halt nach Köln gefahren. Aber das Bedürfnis hatte ich gar nicht so oft. Ich hatte dann hinterher ein kleines Häuschen in einem Dorf mit 50 Einwohnern, wo ich mit einem Kumpel aus Berlin gewohnt habe. Ich habe Berlin die drei Jahre lang wirklich kaum vermisst.
Du hast an drei Olympischen Spielen teilgenommen. Bei Deiner Premiere 1996 in Atlanta bist Du allerdings erstmal aus der Nationalmannschaft geflogen. Was war denn da los?
Da wird bis heute spekuliert, worum es dabei ging. Ich habe danach auch erstmal nicht mehr in der Nationalmannschaft gespielt, aus angeblichen „disziplinarischen Gründen“. Okay, wir haben zu der Zeit schon relativ viel gefeiert und viel Spaß gehabt. Und vielleicht haben wir das auch ein bisschen übertrieben damals (lacht). Wir haben uns nicht hundert Prozent auf den Sport konzentriert. Das kann man machen, wenn man gleichzeitig erfolgreich ist. Bei uns blieb dann aber auch der Erfolg aus. Und da gab dann es schon die eine oder andere Differenz mit dem Trainer…
Was ist denn eigentlich das Besondere an Olympischen Spielen?
Es ist schon ein geiles Gefühl, an Olympischen Spielen teilzunehmen und im Olympischen Dorf zu wohnen. Ich finde es bescheuert, wenn Sportler vor ihren Wettkämpfen ins Hotel ziehen. Da geht doch der olympische Gedanken verloren. Das Olympische Dorf ist einfach ein riesiger Planet voller Sportler und vielen coolen Menschen. Das ist für mich ja gerade das Mystische an Olympischen Spielen, auch dass da keine Kameras rein dürfen. Man lernt Gleichgesinnte aus anderen Nationen kennen – und das alles passiert mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Beim ersten Mal habe ich mich da noch sehr von ablenken lassen (lacht). Wir haben aber auch in späteren Jahren im Trainingslager noch gut gefeiert. Doch wenn es dann ins Turnier ging, waren wir die absoluten Asketen.
Was waren bis heute die wichtigsten Erfolge Deiner Karriere?
Da muss man zwischen der Nationalmannschaft und dem Klubteam unterscheiden. In der Nationalmannschaft hat es sehr viel Spaß gemacht, weil die Kameradschaft mit allen sehr gut war, weil man da echte Freunde gehabt hat. Im Verein ist das anders, weil da viele Legionäre dabei sind, die einfach nur herkommen, um ihren Job zu machen. Die Erfolge muss man unterscheiden: So ein Champions-League-Titel, den wir 2002/2003 gewonnen haben, ist natürlich ein Riesenerfolg, das Größte, was du als Vereinspieler jemals erreichen kannst. Das bedeutet dann auch etwas für die Stadt, in der du lebst. Wenn du aber für Deutschland spielst, ist das noch mal einen Zacken schärfer. Da sitzen bei Olympia dann eben auch mal 12 Millionen Zuschauer vor dem Fernseher und fiebern mit.
Was hast Du aus der Zeit mit der Nationalmannschaft noch mitgenommen außer den sportlichen Erfolgen?
Durch den Sport bin ich extrem viel rumgekommen. Ich weiß nicht, ob ich sonst mal nach Australien oder Japan gekommen wäre. Man hat natürlich schon viel gesehen. Das war geil, auch wenn sich das in vielen Fällen auch auf Turnhallen, Hotels und Flughäfen beschränkt hat und man allenfalls noch das Nachtleben genießen konnte. Prinzipiell ist der Handball schon eine Möglichkeit gewesen, die Welt zu sehen. Die Reisen waren immer das, was mir am meisten Spaß gemacht hat.
Du bist in Deiner Karriere auch von Verletzungen nicht verschont geblieben. Was war die schlimmste?
Das kaputte Knie war sicherlich die brutalste Verletzung. Die Verschleißerscheinungen werden mich wohl für immer begleiten, der Knorpelschaden ist schon relativ groß. Nasenbeinbrüche, Jochbeinbrüche oder Fingerbrüche passieren halt, genauso Umknicken, Verstauchen oder Bänderriss. Das Knie aber war schon eine heftigere Operation. Und da bin ich auch froh, dass ich da einen guten Arzt gefunden habe, der mir noch ein paar Jahre meiner Karriere geschenkt hat. Normalerweise wäre mit diesem Knie 1997 Schluss gewesen.
Würdest Du sagen, dass die meisten Handballer mehr abkönnen als die Fußballer?
Es wirkt schon manchmal so, dass Fußballspieler nach einem Foul relativ lange am Boden liegen bleiben. Aber wenn ich Fußballer geworden wäre, wäre ich womöglich auch liegen geblieben. Bei denen geht es einfach um noch ganz andere Sachen. Da wird ein Muskelfaseriss oder eine Muskelzerrung einfach länger auskuriert als bei einem Handballer. Bei uns geht es nach solchen Verletzungen immer relativ schnell weiter. Im Fußball dreht es sich auch um viel mehr Geld und um eine ganz andere Öffentlichkeitsdarstellung. Die sind ja permanent im Fokus der Medien.
Das geht speziell Dir aber auch nicht viel anders. Deine Tätowierungen sind sogar eine eigene Rubrik auf Deiner Homepage. Da kann man nachlesen, dass Du Dir im Jahr 1993 Dein erstes Tattoo hast stechen lassen…
Meine damalige große Liebe ging in die Brüche – und das war ein sehr einschneidendes Erlebnis für mich. Und weil ich damals in Berlin über einem Tattoo-Studio wohnte, lag es auf der Hand, dass ich die Geschichte von einem Tätowierer dokumentieren lasse. Da habe ich mir „den Tod“, einen Sensenmann, als Symbol tätowieren lassen. Bis heute sind es 16 Tätowierungen geworden und damit ist garantiert nicht Schluss. Dafür habe ich natürlich meine Stamm-Tätowierer: Peter Siwak in Magdeburg und Rene Mannich in Nordhausen. Siwak macht Schwarz-weiß-Geschichten wie Totenköpfe oder Portraits, Mannich eher die Old-School-Schiene.
Ende der 90er Jahre hast Du in Magdeburg mit zwei Freunden und einer Freundin in einer Art WG gewohnt, in Gummersbach ebenfalls mit einem Kumpel zusammen. Dein Idealzustand des Zusammenlebens?
So war es in der Vergangenheit. Jetzt bin ich etwas älter geworden und habe schon meine eigene Bude, wo ich alleine wohne. Die 20er waren so. Da wollte ich immer mit jemandem zusammen wohnen, aber durchaus mit einem eigenen Bad und einer eigenen Küche, aber trotzdem irgendwie in der Kommune. Das war wirklich eine coole Zeit! In Magdeburg hatten wir zu der Zeit unter unserer Wohnung auch noch die Kneipe „K-73“, die aber wirtschaftlich kein großer Erfolg war.
Dafür hast Du ab 2000 zwei Jahre lang die MTV-Sendung „Sushi“ moderiert – aus Deinem Wohnzimmer und aus Deiner Kneipe.
Wir haben die Show meistens bei mir im Wohnzimmer gedreht, aber auch schon mal draußen in der Natur. MTV hatte damals einen ziemlich coolen Programmchef, der mich angesprochen hat. Ich könnte die Musik spielen, die ich will, und könnte über das reden, was ich will, jede Woche eine Stunde lang. Etwas Besseres konnte es natürlich nicht geben. Ich habe das Ganze aber hauptsächlich wegen der Musik gemacht, weil die zu der Zeit viel zu wenig im Musikfernsehen gespielt wurde. Die Moderation war wirklich nicht der primäre Teil der Sendung.
Was für Musik hast Du damals bevorzugt in der MTV-Show gespielt?
Meine Musik war immer Hardrock und Gitarrenmusik. Und die Studiogäste waren alles nur Leute, die ich auch unbedingt haben wollte. Es war auch kein Zwang, in jeder Show einen Gast dabei zu haben. Wer dann aber tatsächlich mal vorbei kam, das waren Die Ärzte, Nina Hagen, Such A Surge, Keith Caputo und Campino. Mit Campi haben wir in meinem Wohnzimmer eine ziemlich lässige Sendung gemacht und dadurch habe ich ihn auch überhaupt erst kennen gelernt…
Wie hat sich dieser Kontakt dann entwickelt?
Wir hatten danach erstmal nur losen Kontakt und haben uns nur mal zwischendurch bei der Echo-Verleihung wieder getroffen. Seit zwei Jahren hat sich da aber eine engere Freundschaft draus entwickelt. Ich denke, dass wir beide ziemlich freiheitsliebende Typen sind. Jeder hat einen ziemlich stark ausgeprägten Charakter. Und wir waren in unseren Mannschaften jeweils das mediale Aushängeschild. Es ist schon erstaunlich, wie viele Gemeinsamkeiten es da gibt. Und da kann man sich schon mal Sachen erzählen, die man sonst nicht jedem erzählt.
Im Sommer 2004 warst Du mit der Handball-Nationalmannschaft im Trainingslager in Köln. Ihr habt Euch dann als Vorbereitung auf die Olympischen Spiele einem besonderen Fußballspiel gestellt…
Die Gurken von den Hosen haben uns ja immer heiß gemacht und erzählt, wie sie uns fertig machen.
Campino war natürlich der Provokateur Nummer eins. Da wollten wir es dann mal drauf ankommen lassen. Was dabei heraus kam, haben die Jungs ja gesehen (lacht)! Wir hatten alle großen Spaß dran. Für einige der Spieler waren die Hosen auch wirklich so etwas wie Idole. Wir haben nach unserem glanzvollen Sieg dann auch noch alle zusammen im Geißbockheim gesessen. Und im Olympischen Dorf hing dann das Hosen-Trikot neben unseren Nationaltrikots.
Campino hat Euch ja dann sogar beim Olympischen Finale in Athen besucht. Wie kam es dazu?
Es lief die ganze Zeit so eine Art Deal. Wenn wir ins Finale einziehen, wollten die Hosen und die Ärzte kommen. Die Ärzte hatten dann einen Tag vorher ein Konzert in Salzburg und haben deshalb kurzfristig abgesagt. Campi hat aber natürlich Wort gehalten und ist runter geflogen. Es war auch nicht so einfach für ihn, das zeitlich hinzukrigen, aber er hat es trotzdem gemacht! Und trotz der Niederlage haben wir noch eine schöne Party gefeiert und unsere Trauer gemeinsam ertränkt…
Wie hast Du die Niederlage verkraftet?
Die schmerzt bis heute. Wenn du so kurz davor bist, dir deinen Kindheitstraum zu erfüllen, ist das schon brutal. Du bist also wirklich in diesem scheiß Finale – und dann verlierst du das. Es ist halt schon ein Unterschied, ob du Gold oder Silber gewinnst. Mit Gold bist du unsterblich, mit Silber bist du nur ein erfolgreicher Sportler. Es ist immer mein Traum gewesen, dieses Ding zu gewinnen. Und so eine Chance bekommst du auch nie wieder. Mittlerweile wache ich zwar nicht mehr jede Nacht auf und heule, aber das bleibt bis zum Lebensende, wenn du so ein Finale verloren hast. So etwas verarbeitest du nie ganz.
Du spielst nach wie vor beim SC Magdeburg in der Handball-Bundesliga, nebenbei moderierst Du neuerdings auch bei Radio Brocken. Etwas für die Zeit nach der Karriere?
Das ist eigentlich erstmal nur ein Gag für einen Monat, aber es macht mir echt Spaß. Es ist aber sicherlich nichts, auf dem ich meine Zukunft drauf aufbauen will. Das hat sich einfach so ergeben, und die Resonanz ist gut. Ob das in einem halben Jahr immer noch so sein wird, weiß ich nicht. Ich habe jetzt erstmal beim SC Magdeburg zwei Verträge unterschrieben - als Spieler bis 2007 und für den Marketingbereich bis 2009. Und ob ich darüber hinaus, auch noch etwas für den Deutschen Handball-Bund mache, lasse ich mir erstmal offen.
Du warst im Dezember ein paar Tage mit den Hosen auf Tour. Was hast Du bei der „Friss oder stirb“-Tour erlebt?
Ich war in Leipzig und Berlin dabei. Das war für mich privat gerade eine schwierige Phase. Und Campi meinte dann: „Wenn du da mal raus musst, dann komm doch mit uns auf Tour!“ Und eine solche Ablenkung war für mich in dem Moment sehr wichtig. Um auf andere Gedanken zu kommen, gibt es ja nichts Genialeres als ein Hosen-Konzert. Ich hatte da dann wirklich viel Spaß mit den Jungs. Und die Konzerte waren natürlich der Knaller. In Leipzig haben 12000 Leute von Anfang bis zum Ende jedes Lied mitgesungen. Und auch Berlin wurde zu einem wirklich geilen Benefiz-Konzert.
Was sind Deine aktuellen Lieblingsstücke von den Hosen?
Im Moment heißen meine Lieblingslieder „Alles wird vorübergehen“ und „Freunde“, weil die beide symbolisch ganz gut zu meiner aktuellen Lebenssituation passen.