Du bist in Hemmoor aufgewachsen, einer Kleinstadt im Landkreis Cuxhaven in Niedersachsen. Mit was für Musik bist Du groß worden?

Wenn man auf dem Dorf in die Pubertät kam, entschied man sich: entweder für Schützenverein und Fußball spielen – oder für Metal, Punk und Hardrock. Ich gehörte zur zweiten Gruppe. Was wir zuerst gehört haben, war ein ganz obskures Gebräu aus Scorpions, AC/DC und Hosen. Mein erstes Hosen-Erlebnis, das ich in meiner Jugend in Hemmoor hatte, war die Live-Platte „Bis zum bitteren Ende“.

Wie war Dein erster Eindruck?

Was ich hörte, war überwältigend. Damals konnte ich allerdings noch gar nicht so richtig einordnen, was dahinter steckte. Heute weiß ich natürlich, dass das „Applaus, Applaus, Applaus“, das Jäki Eldorado zu Konzertbeginn brüllte, ursprünglich aus der Muppets-Show stammte. Früher, insbesondere auf dem Dorf, musste man so ein Code-System erstmal knacken, da gab´s noch kein Internet. Ich habe mich wirklich lange gefragt: Warum sagt denn da einer vor dem Konzert „Applaus“?

Warum Metal, Punk und Hardrock und nicht Marschmusik?

Bei uns galt in den ersten Jahren: Hauptsache, die Musik ist hart, und deine Eltern finden sie nicht gut. Wir haben aber auch andere Stile gehört, sind zum Glück für alles offen geblieben. Ich habe zwei Jahre später auch Public Enemy gehört. So gesehen war es ein großer Luxus, nicht in einer festgefahrenen Szene groß geworden zu sein.

Deine erste Stadt, in der Du Konzerte anschautest, wurde dann Hamburg...

Mein allererstes Konzert dort waren die Hosen auf der „Ein kleines bisschen Horrorschau“-Tour. Meine beiden Omas haben in Hamburg gewohnt, sonntags bin ich regelmäßig zu ihnen gefahren. Es war damals die Punk-Stadt schlechthin mit Läden wie dem Störtebeker, der Roten Flora usw. Als wir etwas älter waren, sind wir immer wieder hingefahren, manchmal auch nach Bremen.

Mit Andi in der Umbaupause, RheinEnergieStadion

Foto Pertramer

Später wolltest Lehrer werden und hast in Köln studiert?

Ich hatte vorher auf dem Dorf Zivildienst mit Behinderten gemacht. Es war dann einfach so ein Zeitpunkt, zu dem ich mal raus wollte. Zudem hatte ich mit 16 eine Punker-Brieffreundin in Düsseldorf kennen gelernt, weshalb ich dort einige Punker-Freunde hatte. Ich bin vorher schon öfter, ohne dass es meine Eltern wussten, nach Düsseldorf getrampt. Für einen Dorftypen wie mich waren es epochale Erlebnisse, wenn die die Tür aufmachten und mich willkommen hießen. Die waren ja alle vier, fünf Jahre älter!

Was hast Du am Rheinland und Ruhrgebiet geschätzt?

Nicht zuletzt die ganzen Konzertorte. Egal, ob AK47 in Düsseldorf, Rhenania in Köln, Geschwister-Scholl-Haus in Neuss oder Bahnhof Langendreer in Bochum – das hat mir alles wahnsinnig viel bedeutet. Deshalb wollte ich unbedingt nach NRW. „Zweite Heimat“ wäre jetzt übertrieben, aber es ruft bis heute wärmste Erinnerungen wach. Dass es damals Köln geworden ist, war eher Zufall. Ich hatte auch eine Zusage von der Duisburger Universität.

Die Hosen sind nach über 30 Jahren immer noch in Düsseldorf. Ist das zu verstehen?

Ehrlich gesagt, ich kann das nicht nachvollziehen, dass sie niemals die Stadt verlassen haben. Ich kann noch weniger verstehen, dass ihre Musiker nur mit den Füßen voran rausgetragen werden. Für mich als Sänger einer Band ist aber genau das immer noch der höchstanzustrebende Zustand. Ich habe wirklich schon viele Bandmitglieder kommen und gehen sehen und von daher bewundere ich das sehr. Bleibt zuhause und bleibt zusammen! Wer aber hat das schon geschafft außer den Hosen? Mir fallen nur drei Bands ein: Fettes Brot, Fantastische Vier, Absolute Beginner.

Du hast bei Deiner Band Tomte andere Erfahrungen gemacht?

Ja, das ist ein Grund, warum ich gerade meine zweite Soloplatte veröffentliche. Bei jeder Band gibt es irgendwann eine Phase der Ermüdung. Bei Tomte war es so, dass nach und nach meine drei besten Freunde ausgestiegen sind. Mit denen hatte ich zusammen auf dem Dorf angefangen. Der Satz war immer: „Thees, ich kann nicht mehr, ich steige aus.“ Ich habe jedem von ihnen gesagt: „Ey, Du kannst mich doch nicht alleine lassen!“

Hast Du verstanden, warum Sie Schluss gemacht haben?

In einer Rockband zu spielen, hat auch eine psychische Dimension. Es dreht sich auch immer um die Fragen: Wie viele Menschen kommen zum Konzert? Wird die neue Platte auch wirklich gut? Und kann ich in Zukunft davon leben? Das sind drei Koordinaten, die einem große Angst machen können, die aber auch das sind, was den Job extrem reizvoll macht.

„Wenn bei mir jemand aussteigt, den bringe ich um.“

Tomte

Wie war das, wenn neue Musiker bei Tomte dazu kamen?

Es war sehr anstrengend, immer wieder neue Mitglieder an das Code-System heranzuführen, an die ganzen unausgesprochenen Hierarchieverpflichtungen, die man in jeder Familie hat. Ich führe mich bestimmt nicht wie ein Boss auf, aber das gehört nun einmal dazu. Die Situation hat mich am Ende sehr ermüdet. Ich selbst wollte weiter, musste aber immer wieder einen Schritt zurück machen.

Wie hast Du das Problem gelöst?

Ich habe irgendwann gesagt: Jetzt mache ich erstmal eine Solo-Platte, lasse die ganzen Emotionen raus und bezahle die Musiker für ihren Job. Das Ergebnis: Heute habe ich die tollste Band, in der ich je gespielt habe. Es gibt einen Satz, den ich immer gerne im Tourbus sage: „Wenn bei mir jemand aussteigt, den bringe ich um.“ Dann müssen immer alle lachen, weil jeder genau weiß, wie das gemeint ist.

Als Du Deine Band Tomte 1994 gegründet hast: Was für eine Band sollte das werden?

Wir wollten ganz einfach die erste Band aus unserem Dorf sein, die einen Gig in Hamburg spielt. Das schien das Maximale, was herauszuholen war. Vier Jahre später haben wir dann tatsächlich vor zehn Leuten in der Roten Flora gespielt. Das war irgendein Festival mit zehn anderen Punk-Bands. Für mich war das der größte Erfolg, den ich mir jemals hätte vorstellen können.

Wie ging es weiter?

Wir sind „von Erfolg zu Erfolg“ geschwommen. Der nächste war, dass wir im Vorprogramm der Boxhamsters auftreten durften, meine absoluten Supergötter. Ich habe nur wegen deren Sänger Co angefangen, deutsche Texte zu schreiben.

Wie hat man solche Kontakte in den frühen 90er Jahren organisiert?

Co hatte tatsächlich seine Telefonnummer auf die Platte drauf geschrieben. Ich habe einfach bei ihm angerufen. Irgendwann klingelte das Telefon bei uns zuhause, und meine Mutter sagte: „Das ist irgendein Martin am Telefon.“ Das war sein richtiger Name. Mir ist fast der Hörer aus der Hand gefallen, als er sagte: „Hier ist der Co von den Boxhamsters.“ Wir waren damals keine guten Musiker, aber die haben uns an die Sache herangeführt.

RheinEnergieStadion

Foto Petramer

Wie welche Band wolltest Du früher sein?

Ich hatte eine Oasis- und eine Smiths-Phase, und dann kam irgendwann Bruce Springsteen. Was mir bei all dem wichtig ist: Ich möchte nicht der schnelle Massen-Entertainer sein. Rockmusik ist für mich eine ernsthafte Angelegenheit. Ich mache das nicht nur für mich, sondern auch für andere Menschen. Mein Anspruch ist es, auf eine bestimmte Art und Weise Geschichten zu erzählen.

Worum geht es in Deinen Geschichten?

Es ist doch so: Jeder will aus der Stadt kommen, jeder will in New York leben, jeder will in einer Loftfabriketage wohnen. Das ist aber nicht die Lebensrealität. Die Leute kommen aus Fickmühlen, Drochtersen und Hechthausen. Über die Lofts singt bereits Jay-Z, meine Leute kommen vom Dorf. Ich stelle auf Konzerten immer wieder die Frage:

Wer ist schon mal mit dem Kassettenrekorder auf dem Gepäckträger mit leeren Batterien zu einer Party gefahren, die es gar nicht gab?

Woran denkst Du als Erstes, wenn Du an Deine Dorfjugend denkst?

Das Bier, das wir getrunken haben, war immer warm. Es gab damals scheinbar keine Kühlschränke.

Du warst früher auch Fanzine-Schreiber, hast ein Tocotronic-Tourtagebuch veröffentlicht. Wie hat Dich die Punk-Szene geprägt?

Was ich immer wieder feststelle, ist, dass alle, die ihr Leben irgendwie selbst erfunden haben, früher Punks waren. Das sind Menschen, die heute – siehe Tote Hosen – unglaubliche Erfolge feiern, ja, die sogar den gesellschaftlichen Kanon mitgestalten. Die haben nicht Grafik studiert und einen VWL-Aufbaukurs gemacht. Es geht darum, sich selber zu ermächtigen, sein eigenes Leben zu erfüllen. Ich kenne einen, der früher ein Fanzine gemacht hat. Heute ist er Mediziner und hat fünf Piercing-Läden.

2002 hast Du zusammen mit zwei Musikern von Kettcar das eigene Label „Grand Hotel van Cleef“ gegründet. Warum?

Es hat sich zu der Zeit einfach keine andere Plattenfirma für Kettcar oder Tomte interessiert. Da haben wir gesagt: „Lass uns selbst ein Label gründen.“ Marcus Wiebusch von Kettcar hatte vorher schon ein eigenes gehabt, als er noch bei But Alive spielte. Und ich habe bei seiner neuen Band gleich gerochen, dass das erfolgreich wird. Ich wusste, dass das eine emotionale Tiefe hatte, die den Zeitgeist treffen wird.

War es trotzdem ein Wagnis für Euch?

Ja, klar. Wir haben als Erstes versucht, einen Businessplan aufzustellen. Mein Bruder, der Unternehmensberater ist, hat gesagt: „Das sieht super aus. Wenn ich eine Bank wäre, würde ich Euch einen Kredit geben.“ Wir sind dann von Hamburger Bank zu Hamburger Bank gezogen und haben überall zu hören bekommen: „Musikindustrie? Da verleihen wir kein Geld!“ Dabei ging es gerade einmal um 10.000 Euro. Wir haben uns das Geld dann am Ende bei der Mutter von Marcus geliehen.

Wie ist Euer Label angelaufen?

Wir haben den Kredit nach drei Monaten zurückzahlen können. Im Herbst kam die erste Kettcar-Platte raus und im Frühjahr „Hinter all diesen Fenstern“ von Tomte. Das waren zwei sehr erfolgreiche Platten innerhalb des ersten halben Jahres. Wir haben bis heute jeweils 50.000 bis 70.000 Exemplare verkauft. Mit Tomte sind wir in die Top-50 der deutschen Charts eingestiegen. Das war absolut unglaublich, wir haben sehr gelacht. Ich habe damals vor Freude das ganze Büro demoliert!

Wie sieht Eure Bilanz aus, mehr als zehn Jahre später?

Technisch gesehen, hat sich die ganze Welt verändert. Es ist einfach schwieriger geworden, Platten rauszubringen. „Plattenfirma“ ist heute fast schon ein schwammiger Begriff. Ich bin in erster Linie froh, dass ich mit Menschen zusammenarbeiten kann, die ich mir selbst ausgesucht habe und keinen koksenden Hipstern von großen Plattenfirmen. Wäre es anders, würde mir das wohl innerhalb kürzester Zeit den Spaß an der Musik rauben.

Was wäre die Alternative zu diesem Weg?

Wenn das Geld reichen würde, um meinem Kind 15 Jahre lang den Joghurt hinzustellen, würde ich´s machen. Sonst wäre ich ja blöd. Wenn es weniger ist, bin ich eher dafür, die Würde zu behalten. Ein bisschen weniger Plakatwand, ein bisschen weniger Erfolg – und durchhalten.

Dein erstes Soloalbum erschien vor zwei Jahren. Wie wichtig ist Tobias Kuhn, der zuletzt auch mit den Hosen zusammen gearbeitet hat, für Thees Uhlmann & Band?

Mit Tobi Kuhn (RheinEnergieStadion, Foto Pertramer)

Ich kann mich an Tobias abarbeiten. Ich kann mich ihm öffnen und ohne Grenzen erklären. Ich will ihn zufriedenstellen. Er ist für mich so etwas wie ein Bullshit-Detektor. Wenn er mit einem Text zufrieden ist, bin ich es auch. Je älter ich werde, desto mehr macht es mir Spaß, Texte zu schreiben. Und wenn es ihm nicht passt, fange ich halt nochmal von vorne an.

Und wie ist Eure musikalische Zusammenarbeit?

Es ist ein bisschen so wie in der ABBA-Doku, die immer rund um Weihnachten läuft. Da sieht man das Studio, und irgendwer sagt: „Hier haben wir in einer Woche ‚Dancing Queen’ und ‚Thank You For The Music’ geschrieben.“ Ich will uns nicht mit Benny und Björn vergleichen, aber manchmal passt es zwischen zwei Menschen einfach. Und ich glaube, Tobias hat auch einfach Lust, mich zufrieden zu stellen. Wenn wir zusammen Musik machen, spielen Egos und Befindlichkeiten keine Rolle. Wenn ein Song beknackt klingt, können wir uns das ins Gesicht sagen.

Wann hattest Du das Gefühl, dass Du auf dem richtigen Weg bist, dass Du als Thees Uhlmann & Band länger weitermachen könntest?

Als ich die „1Live“-Krone in der Hand gehalten habe... Das Soloprojekt war zunächst eher als „Sabbatjahr“ geplant, weil ich nach 17 Jahren in einer Band mal etwas anderes machen musste. Dann mochten Tobi und ich die Platte selbst sehr gerne, die ersten Konzerte liefen irgendwie ganz toll – und dann hat mir Sabine Heinrich auch noch die „Krone“ in die Hand gedrückt. Es war vielleicht das letzte Mal, dass wir gegen Kraftklub gewonnen haben, aber in dem Jahr haben wir es geschafft.

Was zählt so ein Preis wie die „Krone“?

Es hat mir sehr viel bedeutet! Das Entscheidende war: Ich hatte mir das ja alles selber organisiert. Ohne mich selbst hätte ich nicht dort gestanden. Und da war noch etwas: Ich bin aufgestanden, zur Bühne gegangen, und Campino hat seine Hand rausgehalten. Hey, ich habe mit dem Sänger der Toten Hosen abgeklatscht, als ich einen Musikpreis gewonnen habe! So etwas schreibt sich kein 17-Jähriger auf seinen Zettel.

Dein aktueller Status lautet: „Vorzeigeheld des deutschen Indie-Rock“ bzw. „niedersächsischer Bruce Springsteen“ (Süddeutsche Zeitung) – hätte schlechter laufen können?

Ja, stimmt. „Indie-Rock“ bedeutet mir aber heute überhaupt nichts mehr. Mit 22 Jahren ist Indie-Rock das Größte der Welt. Man positioniert sich und muss Sachen scheiße finden, um seine eigene Identität heraus zu meißeln. Mit 37 Jahren wäre das lächerlich und arrogant, sich über Leute lustig zu machen, die „Tage wie diese“ gut finden. Das wäre total unpunk. Die Leute haben einfach keine Zeit, Platten zu sammeln. Die gehen jeden Tag zur Arbeit und versuchen, dass ihre Kinder einen Schulabschluss hinbekommen. Die können nicht auch noch Punk-Seven-Inches sammeln.

Was hast Du mit Bruce Springsteen gemeinsam?

„Niedersächsischer Bruce Springsteen“ finde ich gut, weil das ja an für sich schon wieder total dämlich ist. Es ist für mich toll zu sehen, dass Sänger in Würde älter werden können – Bruce Springsteen, Sven Regener oder Campino. Als Punk in Deutschland alt werden? Das gab es vorher noch nicht, musste erst erfunden werden. Die Hosen haben es einfach gemacht. Was mir bei Bruce Springsteen besonders gefällt, ist seine ewige Suche nach ein bisschen Erlösung.

Du kriegst ja mehr mit als viele andere: Welche neue deutsche Band kannst Du gerade besonders empfehlen?

Meine Freunde Olli Schulz, Gisbert zu Knyphausen und ich finden gerade alle eine Punkband aus Schleswig-Holstein gut. Die Band heißt „Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen“, und die haben ein 8:06 Minuten langes Lied namens „Leb so, dass es alle wissen wollen“. Das ist der beste deutsche Song in den letzten zehn Jahren! Ich bin nachts vom Studio nach Hause gegangen und habe den zehnmal hintereinander gehört. Musikalisch ist das New-Wave-Punk, textlich die absolute Vollgranate – produziert von Knarf Rellöm. Von dem sollte man sich unbedingt die Platte „Autobiographie Einer Heizung“ anhören.

Wie ist das Leben für eine junge deutsche Band heutzutage?

Früher war es romantischer. Da hatte man als talentfreie Band mehr Möglichkeiten, irgendwo zu spielen und sich auszuprobieren. Was das Internet verändert hat: Wenn heute 14-Jährige auf einem Dorf einen Megahit schreiben, werden die nicht mehr aufzuhalten sein. Heute braucht das keine Werbeanzeige in einem Musikmagazin mehr. Schick es einfach an deine Freunde raus. Wenn Du Talent hast, wird sich das automatisch rumsprechen. Ich würde das zehn Jahre durchziehen, dann weiß man, ob es sich gelohnt hat.

Wann hast Du die Toten Hosen auf Deinem Weg zum ersten Mal getroffen?

Es war zuerst weniger die Band selbst. Als wir 2002 mit unserer Plattenfirma angefangen hatten, hat nach einem halben Jahr das Telefon geklingelt, und Patrick Orth war dran. Er hat gesagt: „Hallo, hier ist Patrick von JKP. Ich würde mir gerne mal anschauen, wie Ihr das mit Grand Hotel van Cleef macht.“ Und dann ist er einfach bei uns in Hamburg vorbei gekommen. Das alleine war schon großartig. Dass sich die Plattenfirma der Toten Hosen für das interessierte, was wir machen.

Was hat er zu Eurem Label gesagt?

Er hat uns glaubwürdig versichert, dass er das total gut findet, dass wir ein eigenes Label machen. Sein wichtigster Satz für mich war: „Thees, wenn Du Sachen entscheiden oder unterschreiben musst, kannst Du mich zu jeder Tag- und Nachtzeit fragen, was meine fachliche Einschätzung ist.“ Andere schließen Rechtsschutz-Versicherungen ab, ich bekam eine Punker-Rückversicherung. Das war eine Große-Bruder-Geste, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann.

Wie ist der Kontakt seither?

Wir tauschen uns regelmäßig aus. Man könnte auch sagen: Ich bin Stammkunde bei „Patrick Orth Consulting“.

Wann bist Du zum ersten Mal auf die Band getroffen?

Ich war mal backstage in der O2-Arena in Hamburg und habe nur auf den Boden geguckt. Es war ungeheuerlich, dass ich dort sein durfte. Dann war ich bei einem Gig im SO36, und Campino kam hinterher an mir vorbei. Er guckte mich an und sagte: „Ich weiß genau, wer Du bist. Du bist der Einzige in der Indie-Szene, der die Flagge der Toten Hosen hochhält. Und wir, die Toten Hosen aus Düsseldorf, vergessen so etwas nicht.“ Und dann ist er weitergegangen. Ich musste mich erstmal kneifen, ob es das gerade wirklich gesagt hatte.

So36 Benefizkonzert, Berlin 2009

Foto Enno Kapitza

In diesem Jahr spielt Ihr erstmals vor den Hosen, vornehmlich in Stadien. Wie war´s?

Sehr aufregend. Wir sind um mindestens drei Jahre gealtert. Ich habe schon mal vor 40.000 beim Hurricane-Festival gespielt, aber vor 25.000 Toten-Hosen-Fans ist das nochmal eine ganz andere Nummer. Das Publikum war sehr aufmerksam und fair – viel mehr kann ich gar nicht sagen. Wenn man so aufgeregt ist, verschmelzen 30 oder 40 Minuten zu dreimal Fingerschnipsen. Man ist so konzentriert und genießt einfach den Moment, so dass es ganz schnell vorüber geht.

Du wurdest bei der Premiere in Heilbronn noch ein zweites Mal auf die Bühne zitiert...

Die Hosen haben gefragt, ob ich mit ihnen zusammen „Liebeslied“ singe. Ich spiele das ja auch in meinen Shows, habe das bestimmt schon vierzig Mal live gesungen, aber ich habe mir in dem Moment den Text vorsichtshalber auf meine Hand geschrieben. Und nicht nur das: Ich war sogar doppelt abgesichert, hatte auch noch einen Textzettel hinten in der Tasche.

Wie ist der Gastauftritt gelaufen?

Ich habe es zuerst sehr genossen – aber was machte Campino? Er sprang irgendwann aus gefühlten drei Metern direkt auf die Monitorbox. Ich habe mich dann wie ein kleiner Junge auf Glatteis herangetastet. Wusste ja überhaupt nicht, ob so eine Box belastbar ist. Wenn man so etwas vor 25.000 Menschen macht, sieht das ziemlich doof aus. Zum Glück rief Campino schnell: „Thees, bleib einfach unten, bleib einfach unten.“ Ich habe mich in dem Moment neben ihm wie eine alte Frau gefühlt.

Was macht die Hosen als Live-Band aus?

Das Besondere ist: Die Hosen müssen das ja nicht mehr machen. Ich habe immer das Gefühl, dass die auf der Bühne stehen, sich ungläubig gegenseitig anschauen und später zueinander sagen: „Schaut mal, was hier abgeht. Wir sind jetzt 85 Jahre alt, wir machen immer noch zusammen Musik, die Leute mögen uns immer noch. Ist das nicht das Größte auf der ganzen Welt?“ Für mich als Musiker ist es total ergreifend, das zu sehen. Wenn sie auf der Bühne spielen, ist das die Abwesenheit von Geld. Und so etwas findet man in unserer Gesellschaft nur sehr selten. Und das alles ist nur wegen Punk entstanden, wegen so einer zufälligen Idee der Geschichte.

Was sind Deine Lieblings-Hosen-Songs?

„Ballast der Republik“ ist ein richtig guter politischer Text über Deutschland. Ich würde mit jedem Nobelpreisträger oder studiertem Hamburger Musiker auf die Bühne gehen und denen erzählen, warum das so ein wahnsinnig guter Songtext ist. Das Stück will keine Meinung bilden, er hat aber eine. Ihm fehlt diese ganze oberlehrerhafte Arroganz. Musikalisch ist es auch spitzenmäßig.

Was sonst noch?

„Ülüsü“ – und „Mehr davon“. Neulich habe ich auch mal nachts um zwei Uhr rauchend am offenen Fenster gesessen und mir bei iTunes die „Bis zum bitteren Ende – Live“ heruntergeladen. Irgendwo steht bei mir auch die CD herum, aber es musste in dem Moment schnell gehen. Das ist für mich immer noch die perfekte Live-Platte. Die Energie, die da rausknallt, war wegweisend. So klang richtige Musik vor Erfindung des Computers.

Dein bestes Erlebnis mit „Tage wie diese“?

Als die Mannschaft von Borussia Dortmund im „Aktuellen Sport-Studio“ war und angefangen hat, den Song zu singen, habe ich gedacht: „Oh my god, the shit is getting massive.“ Es bringt immer besonderen Spaß, wenn Sachen ungeplant passieren. Man weiß ja, was die Spieler sonst für Musik hören. Justin Bieber! Die Profis sind zutätowiert wie ein Knasti und sagen tatsächlich: Meine Lieblingsband ist Justin Bieber, Wahnsinn. Und dann werden sie Deutscher Meister und singen einen Song von einer Punkband. Da habe ich gewusst: Alter Schwede, das geht ab!

Was ist die Perspektive für die Hosen?

Es bewegt mich immer noch sehr, wenn sie Konzerte spielen. Sie knallen jedes Stadion in Deutschland voll, wenn sie auf Tournee gehen, es ist größer als jemals zuvor. Es bedeutet den Leuten etwas. Sie haben meiner Meinung nach eine Verpflichtung, nicht damit aufzuhören.

Du hast auf der letzten Tour „Liebeslied“ gecovert. Eine Studioversion gibt´s jetzt als Bonustrack auf Deiner neuen Platte. Wie hat das Publikum reagiert?

Es sind auch immer ein paar Szenespießer dabei, bei denen das zuerst den Impuls auslöst: „Tote Hosen? So ´ne Scheiße!“ Hinterher singen die aber alle mit. Das ist deutsches Urwissen, fast wie ein Volkslied. In meiner Welt ist es vor allem ganz tolle Lyrik. Einen Song über eine Demonstration zu machen, ohne eine politische Meinung vorzugeben – das ist die ganz große Kunst. Wir spielen das mit Akustik-Gitarre, Mundharmonika und Klavier, das ist eher so die Bob-Dylan-ABBA-Variante.

Welchen Deiner Songs könnten die Hosen im Gegenzug mal covern?

„Korn und Sprite“ von Tomte wäre vielleicht etwas. Speziell Vom als Engländer könnte das gefallen!

Dein neues Album „#2“ ist gerade erschienen. Was ist anders als auf „Thees Uhlmann“?

Thees' neues Album „#2”

Die neue Platte ist etwas harscher, etwas punkiger geworden. Wir sind natürlich auch etwas selbstsicherer, weil wir weitermachen durften. Der Sport war auch diesmal, etwas zu machen, was sonst niemand macht.

Hast Du ein Beispiel dafür?

Ich habe ein Anti-Kriegs-Lied auf der Platte. Jean-Claude Juncker, Premierminister aus Luxemburg, der frühere Chef der Euro-Gruppe, hat einmal gesagt: „Man sollte sich jeden Tag bewusst machen, was es für ein Luxus ist, in Europa in Frieden zu leben. Der nächste Krieg ist immer nur zwei Straßenecken weiter.“ Das war ein sehr schöner Gedanke. Und daraus habe ich dann einen Song gemacht.

Eines Deiner wiederkehrenden Themen ist die Großstadt und die Melancholie...

Das war ja immer ein Thema für Künstler und Texter. Für mich ist es okay, in Berlin zu wohnen, aber ich muss das nicht unbedingt haben, mir ist das eigentlich zu groß. Ich lebe dort hauptsächlich wegen meiner Tochter, verstehe das Codesystem der Leute aber nicht. Ich mag eher Sachen, die natürlich gewachsen sind.

Was stört Dich an der Hauptstadt?

Berlin muss aufpassen, dass es nicht zu künstlich wird. Ich schreibe auch deshalb so viel über die Stadt, weil ich mich dort unaufgehoben fühle. Und weil ich Norddeutschland liebe. Wenn mich jemand nach einer langen Tournee fragen würde: Willst Du eine Woche nach Thailand oder nach Niedersachsen? Da würde ich sofort mit dem Zug nach Niedersachsen fahren.

Einer Deiner großen Hits vom Debütalbum hatte den sperrigen Titel „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“, jetzt singst Du über Zugvögel. Liest Du Biologie-Fachbücher, wenn Du Deine Texte schreibst?

Meine Mutter, meine Tochter und ich gucken wahnsinnig gerne Tier-Dokus. Es gibt da immer viele Analogien zur Menschenwelt zu entdecken.

Wie war das mit den Zugvögeln?

Ich bin in Hemmoor einmal frühmorgens spazieren gegangen, habe gesehen, wie ein Zugvogel aufstieg und die ganze Wiese hinterher. Dann habe ich mich genauer darüber informiert. Verhaltensforscher habe bis heute nicht herausgefunden, wie das angehen kann, dass jemand in Afrika startet, nach Europa fliegt und sich jedes Jahr wieder auf demselben Feld niederlässt. Eigentlich kann das nicht gehen, weil das Gehirn der Vögel zu klein ist.

Immer wieder in Deinen Liedern: amerikanische Städte, sei es Los Angeles oder New York. Was ist das zwischen der USA und Dir?

Ich habe viele Verwandte in Übersee und verbinde viele Erinnerungen mit den USA. Für alle, die über 35 sind, war der Typ, der bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles mit seinem Rucksack abgehoben ist, ikonisch Meine Tochter würde heute darüber lachen. Für uns war das aber gleichbedeutend mit: Die Zukunft beginnt – jetzt. Ich mochte außerdem das Logo, ich hatte sogar ein T-Shirt davon, und ich habe es verloren. Wenn irgendjemand noch Klamotten von der Olympiade hat, bitte melden!

Du bist auch schon lange Fan des FC St. Pauli. Wie bist Du an den Klub geraten?

Es war tatsächlich der Punkmusik-Effekt. Das war eine Zeit, als in Hamburg Ausländer umgebracht wurden, nur weil sie Ausländer waren. Es war eine absurde Stimmung nach der Wiedervereinigung im Land. Wenn man damals beim FC St. Pauli mitmachte, war klar, das man kein Arschloch ist. Das hat mich wahnsinnig fasziniert, und ich bin dann dabei geblieben. Die Fans des FC St. Pauli schaffen es bis heute, wichtige Sachen vorzuformulieren. Ich habe inzwischen alles miterlebt: 1. Liga, 3. Liga, Derbysieg.

Dein Stück „Das hier ist Fußball“ hat das „You´ll Never Walk Alone“ im Millerntorstadion quasi ersetzt...

Ich habe den Song geschrieben, als St. Pauli in der Mitte der 3. Liga herumdümpelte. Zu der Zeit gab es immer nur Metal-Punk zu hören, und das war der Situation nicht gerade zuträglich. Mir war der Klub einfach auch in dieser Zeit immer noch wichtig. Die Liebe fragt ja nicht nach der Schönheit des Gegenübers. Es hat sich dann irgendwie verselbständig. Eines Tages wurden zwei meiner Lieblingsspieler verabschiedet: Florian Bruns und Marius Ebbers. Ich hatte keine Zeit, war auf dem Spielplatz und habe über Kopfhörer Fanradio gehört. Dann sagte der Moderator irgendwann: „Ich halte jetzt einfach mal die Schnauze.“ Und dann kam mein Song, und das ganze Stadion hat mitgesungen. Und ich stand da bei Nieselregen in Berlin...

Bandbild mit Campi, RheinEnergieStadion

Foto Petramer

Wie groß ist Deine Liebe zum Klub heute? Das Büro Eures Labels ist einen Bierbecherwurf vom Millerntor entfernt.

Ich gehe so häufig hin, wie es geht. Was mich zuletzt etwas genervt hat, ist das übertriebene Marketing. Es kann nicht sein, dass du in der 2. Liga auf Platz 12 stehst und in „11Freunde“ wird der neue St. Pauli-Kopfhörer vorgestellt. Eine Band, für die sich gerade keiner interessiert, sollte auch keine T-Shirts verkaufen. Ich würde immer noch erst ein T-Shirt zu machen, wenn zehn Leute danach gefragt haben. Man muss beim FC St. Pauli langsam mal ein bisschen aufpassen, dass man nicht ein x-beliebiger Fußballklub wird.

In der Saison 2013/14 spielen Fortuna 95 und der FC St. Pauli in der 2. Liga. Was ist zu erwarten, wenn sie aufeinander treffen?

Gar nichts. Ich habe es noch bei keinem anderen Klub erlebt, dass die Fans so friedlich miteinander umgehen. Wenn ich durchs Viertel gegangen bin, standen da überall Braun-Weiße und Rot-Weiße und haben sich unterhalten, als hätten sie gar keine Fußballklamotten an. Für alle Fans auf St. Pauli ist das immer noch das Spiel des Jahres, das am stressfreiesten über die Bühne geht.

Beim letzten Mal hätte wohl ein einziger Polizist ausgereicht.

Mitte September ist es soweit: F95 gastiert am Millerntor. Wo sollte man in Hamburg vor und nach dem Spiel hingehen, wenn man eine gute Zeit haben will?

Vorher sollte man vor das Knust in der Feldstraße gehen, das Jolly Roger in der Budapester Straße oder auf den Paulinen - Platz: abhängen und Bier trinken.

Nach dem Spiel? Go with the flow! Einfach durchs Viertel latschen und schauen, wo man sich wohl fühlt.

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